Die Europäer

Zwischen den Eingeborenen und den Europäern besteht eine tiefe Kluft; Sitte, Sprache, Religion, Geschichte und Tradition, alles trennt den Moslim von dem verhassten Rumi oder Christen. Während die Zahl der 1831 in Algerien lebenden Europäer nur 3.228 betrug, worunter 600 Franzosen, haben sich diese Zahlen seitdem wie folgt entwickelt:

1838....20.000 Europäer davon......8.000 Franzosen
1851..131.000 Europäer davon....66.000 Franzosen
1861..192.000 Europäer davon..112.000 Franzosen
1872..248.000 Europäer davon..130.000 Franzosen
1881..400.000 Europäer davon..233.000 Franzosen
1886..500.000 Europäer davon..260.000 Franzosen
1891..477.000 Europäer davon..268.000 Franzosen
1896..530.000 Europäer davon..318.000 Franzosen
1901..584.000 Europäer davon..364.000 Franzosen


Das französische Element ist begreiflicherweise das überwiegende, stammt aber nur zum Teile aus dem Mutterland und umfasst auch die zahlreichen naturalisierten Spanier und Italiener, denen es gelungen ist, eine dauernde Existenz im Lande zu finden, und die besonders seit dem neuen Naturalisationsgesetz vom 26. Juni 1889 Aufnahme gefunden haben; nach diesem jus soli sind alle auf französischem Boden von Fremden geborenen Kinder französische Bürger. Wenn der in Algier geborene Sohn eines Ausländers das militärpflichtige Alter erreicht hat, so muss er sich entscheiden, ob er unter der französischen Fahne dienen oder in seine Heimat zurückkehren will; tritt er in die französische Armee ein, was gewöhnlich geschieht, so ist seine Naturalisation damit ohne weiteres beurkundet. Nicht weniger prompt vollzieht sich die Naturalisation durch Verheiratung zwischen Franzosen und anderen Eingewanderten, und die seit 1830 herangezogenen französischen Kolonisten -Familien werden immer mehr von fremdem Blute durchsetzt. Die Naturalisierung in Algerien geschieht im übrigen nach Erlass von 1865, wonach ein jeder, der drei Jahre in Algerien lebt, zu sämtlichen Rechten eines französischen Bürgers zugelassen, aber erst nach zehn Jahren in die repräsentativen Körperschaften gewählt werden kann. Um unerwünschte Bewerber zurückzuhalten, verlangt man seit 1898 auch die Kenntnis der französischen Sprache, und da man der waschechten politischen Gesinnung der Übergetretenen vielfach nicht recht traut, fordert man neuerdings von gewisser Seite, den Nationalisierten politische Rechte überhaupt vorzuenthalten.

Es scheint, dass die meist aus Südfrankreich stammenden französischen Kolonisten und ihre Nachkommen nur solange für eine systematische Arbeitsleistung in Frage kommen, als sie sich im Besitz ihres Grundeigentums zu erhalten wissen; ohne diese Grundlage erliegen sie rasch dem Klima und der Konkurrenz der einheimischen oder der widerstandsfähigeren spanischen, italienischen und Malteser Arbeiter. In der Stadt Algerien bilden die verarmten Kolonisten und ihre Nachkommen ein nicht gerade gutmütiges Proletariat, dessen Bedenklichkeit bei den letzten antisemitischen Kundgebungen deutlich in Erscheinung trat. Die Franzosen sind als Soldaten, Beamte, Kaufleute, Gewerbetreibende und Farmer tätig, für harte Lohnarbeit aber liefert Frankreich nur ein wenig zahlreiches Material in den zur Zwangsarbeit verurteilten Soldaten zweiter Klasse, den Strafbataillonen, die in ihrer beschränkten Zahl nicht als ein nennenswerter wirtschaftlicher Faktor erscheinen.

Den Charakter als Ausländer scheinen im allgemeinen nur die spanischen, italienischen und Malteser Arbeiter zu bewahren, welche für bestimmte Zeit zu öffentlichen Bauten nach Algerien kommen und sich selbst bei harten Erdarbeiten mit einem Tagelohn von 2 1/2 Francs begnügen; der Araber ist allerdings schon mit 1 3/4 Francs und weniger zufrieden, leistet aber auch entsprechend weniger. Oran ist zum Ärger der Franzosen fast eine spanische Provinz geworden, die Spanier sind hier auch als Kaufleute, Kleinhändler und Handwerker tätig, und außerdem sind sie die Hauptgemüseproduzenten. Die Zahl der Spanier ist von 114.000 in 1881 auf 155.000 in 1901 gestiegen, die Zahl der Italiener schwankte in demselben Zeitraum zwischen 33.000 und 44.000, — 1901: 39.000 — , diejenige der Malteser zwischen 12.000 und 15.000, und von 1856—1896 hat sich die Gesamtzahl der Spanier und Italiener verdreifacht. Die große Zahl der Spanier ist den Franzosen keineswegs angenehm, und so richtete sich denn auch der Erlass des Präfekten von Oran, der im Herbst 1904 in den Kirchen seines Bezirks den Gebrauch einer anderen, als der französischen Sprache verbot, natürlich in erster Linie gegen die Spanier, welche dieses Vorgehen sehr abfällig beurteilten.

Deutsche, darunter Mitglieder der zur Eroberung Algeriens errichteten „Fremdenlegion“, stellten sich schon mit den ersten Kolonisten ein, im Jahre 1871 bot Frankreich Elsaß-Lothringern, die sich zur Auswanderung entschlossen, unter besonders günstigen Bedingungen Eigentum in Algerien an, und das elsässische Element macht sich auch heute noch hervorragend unter den französischen Kolonisten bemerkbar. Nicht allzu selten trifft man noch Söhne und Enkel der Eingewanderten im Besitz ihrer deutschen Muttersprache an, so z. B. in der Preußen-Kolonie La Stidia bei Mostaganem, welche 1846 von 90 armen Familien mit 467 Personen, meist aus der Gegend von Trier eingewandert, gegründet wurde. Sonst sind Kolonisten deutscher Abkunft besonders noch zu finden in Ste. Leonie bei Arzeu, in den Dörfern Prudon und Sidi Lahsen bei Sidi Bei Abbes, in dem Städtchen Saïda, in den Tälern der Kabilei (Menérville z. B. ist fast ausschließlich von Elsaß -Lothringern bewohnt), in Ued Tuta bei Bone, in Palestro, auf dem Steppenhochland bei Batna, weiterhin am Fuße des Biban-Gebirges. Einzelne sind wohlhabende Grundbesitzer geworden, andere, und vielleicht die Mehrzahl, haben nach kurzem Glück Schiffbruch erlitten, wieder andere Familien sind ganz und gar ausgestorben, und fast alle deutschen Niederlassungen in Algerien sind im Laufe der Jahre französisch geworden; haben doch in den Jahren 1865—1902 rund 10.000 Deutsche in Algerien die französische Staatsangehörigkeit erworben. Das deutsche Reich unterhält ein Generalkonsulat in Algier.

Die Zahl der Deutschen in Algerien, im Jahre 1896: 5.800, nimmt nur durch Zuwanderung, namentlich aus Elsaß- Lothringen zu, da die Geburtsziffer bei ihnen noch immer hinter der Zahl der Sterbefälle zurückbleibt, während bei den Franzosen, wo früher auch in Algerien dasselbe der Fall war, sich schon ein Geburtsüberschuss herausstellt. Am besten gedeihen dort von Fremden die Spanier und Italiener, vor allem aber die Juden (Geburten 45 — 47 0/00, Sterbefälle 24— 28 0/00), und noch rascher wächst die einheimische mohammedanische Bevölkerung. Hat sich die Zahl der Eingeborenen von 1872 (2.125.000) bis heute doch verdoppelt, und wenn es auch immerhin beachtenswert ist, dass es im Laufe von 75 Jahren gelang, rund 600.000 Europäer in Algerien ansässig zu machen, so darf doch dabei nicht außer acht gelassen werden, dass diese Europäer unter sich keineswegs einig, sondern dass sie von nationalen Eifersüchteleien erfüllt, von Parteihader zerrissen und im allgemeinen jeder Autorität und deren Trägern gegenüber widerspenstig sind; nur das gemeinsame Bedenken wegen der überlegenen Zahl der Eingeborenen hält sie zusammen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Algerien