Die Franzosen in Algier

So war denn endlich mit geringer Mühe das Raubnest bezwungen, welches jahrhundertelang ganz Europa in Schrecken gehalten hatte, und die 50 Millionen Francs, die man im Staatsschatz vorfand, genügten reichlich, die Kosten der Expedition zu decken. Das Land freilich mußten die Franzosen erst noch erobern, und das erwies sich als schwieriger, als angesichts der elenden Lage eigentlich erwartet werden konnte. War Algerien durch die lange Misswirtschaft doch völlig verarmt, seine gesamte Handelsbewegung überstieg damals nicht 3 ½ Millionen Mark im Jahre, die einzigen Plätze von Bedeutung waren Algier, Blidah, Bone und Scherschel, währen! im Innern allgemein Misstrauen und Streit untereinander herrschten. Aber der Islam bildete das Bindeglied zähen Widerstandes, Araber und Berber vergaßen vorübergehend ihren alten Rassenhass, die während der Türkenherrschaft fast vollständig unabhängig gebliebenen Berberstämme wehrten sich gegen die neuen Eindringlinge, wie gegen die früheren, und die endgültige Eroberung des Landes, dem ein allgemein anerkannter Häuptling fehlte, forderte noch große Opfer an Blut und Geld.

Das Schlimmste war, dass Frankreich während der nächsten zehn Jahre überhaupt zu keinem festen Entschluss darüber kam, ob es nur einige Küstenpunkte Algeriens besetzen, oder das ganze Land nehmen, und sodann, ob man das Land durch Beis regieren lassen oder unter direkte französische Verwaltung stellen solle. Der Dei von Algier war zwar schnell genug entfernt worden , aber dessen drei Vasallen, die Beis von Oran, Tjteri und Constantine, waren geblieben. Zunächst war man nicht abgeneigt, sich mit einer Art Schutzherrschaft über die verschiedenen Beis begnügen zu wollen, indem man sich teils mit den alten verständigte, teils neue einsetzte. Der Bei Mustapha von Titeri ließ sich von Frankreich belehnen, Hassan, Bei von Oran, bat selbst um eine französische Besatzung, und nur der Bei Achmed von Constantine zeigte eine feindliche Haltung. Mersa el Kebir im Westen und Bone in Osten wurden vorläufig durch französische Landtruppen besetzt. Bald sollte es zu Verwicklungen kommen, und zwar veranlasste Bourmonts Ungeschick zunächst offene Feindseligkeit des Beis von Titeri. Bereits am 23. Juli stießen die Franzosen bei Blidah auf einen vom Bei veranlassten Aufstand, als der Sturz Karls X. durch die Juli Revolution eine Stockung in den französischen Unternehmungen verursachte. Bourmont, der zu den Bourbonen hielt, zog sämtliche französische Truppen teile, deren Disziplin eine sehr lockere geworden war, nach der Stadt Algier zurück, wurde selbst aber, nachdem sich Flotte und Heer für die neue Regierung erklärten, durch Marschall Clauzel ersetzt. Am liebsten allerdings hätte die Juli-Regierung die lästige und gefahrvolle Eroberung überhaupt wieder aufgegeben, schon um mit England in guten Beziehungen zu bleiben, das sie von Anfang an mit scheelen Augen ansah, aber man wagte es nicht, weil die öffentliche Meinung eine tatkräftige äußere Politik forderte. Immerhin dachte man zunächst nur an eine beschränkte Besetzung Algeriens.


Der energische Clauzel begann sofort mit Erweiterung des Gebiets durch Streifzüge in das Innere, nahm persönlich im November 1830 Blidah und verfolgte und schlug darauf in den Bergen den Bei Mustapha von Titeri, an dessen Stelle er in Medeah einen Bei seiner Wahl einsetzte, während General Damremont im Dezember Oran besetzte lind der Bei Achmed von Constantine durch ein Dekret für abgesetzt erklärt wurde. Clauzel belehnte nun einen Bruder des Beis von Tunis, Sidi Mustapha, mit den beiden Provinzen Oran und Constantine gegen einen an Frankreich zu zahlenden jährlichen Tribut von je einer Million Francs. in Paris erblickte man aber darin eine Überschreitung seiner Befugnisse, auch fand man dort das ganze Unternehmen wieder einmal zu weit gehend und rief deshalb Clauzel schon 1831 ab; die Armee in Afrika wurde für aufgelöst erklärt, und man beließ dort nur eine Besatzungsdivision unter Befehl des Generals Berthezene, der mit den schwachen, ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nur notdürftig das wenige bisher Erreichte sichern konnte und sich bald wieder nach Frankreich zurückzog.

Das Kabinett Casimir Périer, das Ende 1831 ans Ruder kam, erneuerte und verstärkte zwar die afrikanische Armee, traf aber in dem Befehlshaber Savary, Herzog von Rovigo, (1831-33) die denkbar unglücklichste Wahl für eine Mission, die neben Energie auch besondere Intelligenz, Takt und berechnende Zurückhaltung erforderte. Unter dem alten Haudegen des Kaiserreichs wurde zwar 1832 Bone erobert und 1833 Arzeu, Mostaganem und Bougie besetzt, aber gleichzeitig durch übereilte Neuerungen große Verwirrung angerichtet, und zahlreiche Konfiskationen, militärische Exzesse und brutale Behandlung reizten die verschiedenen Klassen der Bevölkerung, die Araber, Berber und Kuluglis, statt sie durch kluge Politik voneinander zu trennen, zu gemeinsamem Widerstand gegen die fremden Eindringlinge an. Savarys Gewaltstreiche brachten bald ganz Algerien in Aufruhr, und als ein besonders gefährlicher Feind erhob sich im Westen der 1807 als Sprössling einer Priesterfamilie geborene Abd el Kader, der sich durch seine Tüchtigkeit und sein weitverbreitetes Ansehen zum Emir von Mascara emporgeschwungen hatte, einen Rückhalt am Sultan von Marokko fand und den „heiligen Krieg“ gegen die Franzosen erklärte, deren Herrschaft nicht weiter reichte, als ihre Kanonen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Algerien