Bodenfrage und Kolonisation

Ehe wir nun auf Kolonisation und Erwerbszweige eingehen, erscheint es angezeigt, einen Blick auf die wichtige und viel ventilierte Landfrage zu werfen.

Zur Zeit der französischen Besitzergreifung im Jahre 1830 gab es in Algerien hauptsächlich vier Arten von Grundbesitz: Gemeinsamen und ungeteilten Landbesitz der arabischen Stämme oder der arabisierten Berberstämme, den sogenannten Arch oder Sabegha; Privatbesitz einzelner Moslims, den Melk; die Domänen oder Beiliks im Besitz der türkischen Regierung, und endlich das Stiftungs- oder religiöses Ordens -Land, die Habus, in Ermangelung von Landregistern und von Besitzdokumenten war der Umfang des einzelnen Besitzes und dieser selbst damals sehr unsicher.


Der „Arch“ war im Besitz von halb oder ganz nomadischen Stämmen, überwiegend Hirten, welche 1830 den größten Teil Algeriens, besonders Mittel- und Südalgerien, besaßen.

Der „Melk“ war überwiegend bei den östlich von Algier wohnenden Kabilen anzutreffen, sesshaften Ackerbauern und Kleingrundbesitzern, ausnahmsweise aber auch bei arabischen und arabisierten Berber-Stämmen, bei diesen allerdings vielfach im Besitz mehrerer Mitglieder einer Familie und zwar Flächen von 50, 100 und mehreren 100 ha umfassend.

Als „Beiliks“ oder Domänenländereien sollten laut Erlass von 1858 alle diejenigen Ländereien verstanden werden, deren Einnahmen der Staat durch Verpachtung oder eigene Verwaltung selbst einnahm; und sodann auch diejenigen, welche die türkische Regierung den Eingeborenen gewaltsam zur Anlage von Militärkolonien für die 15 — 20.000 Kuluglis genommen hatte, welche über das ganze Land verstreut an strategisch wichtigen Punkten als Stütze der Regierung angesiedelt wurden. Das gesamte Areal der Beiliks umfaßte 1 ½ Millionen ha.

Die „Habu“-Ländereien endlich, Stiftungen für die heiligen Städte Mekka und Medina und Moscheengut, deren Ertrag entweder zur Unterhaltung frommer oder wohltätiger öffentlicher Einrichtungen oder zum Wohle der Nachkommen des Stifters bestimmt ist, zerfielen in solche, welche Landbesitz und Nutznießung einschlossen, und in solche, welche nur den Landbesitz repräsentierten, deren Nutznießung aber erst nach Aussterben der Stifterfamilie dem frommen Zwecke zufließen sollte. Sämtliche Habus wurden bereits 1830 durch Dekret zu Staatsdomänen erklärt, und der Staat übernahm die bisher aus diesen Quellen bestrittenen Ausgaben, wie z. B. die Kosten des Kultus und die Unterhaltung der öffentlichen Brunnen; man beabsichtigte damit besonders, den Einfluss der mohammedanischen Geistlichkeit zu verringern. Zu diesen vier Kategorien von Grundbesitz kamen nun noch vier weitere Klassen, welche sich die Franzosen aneigneten, nämlich:

a. Der konfiszierte Privatbesitz des Dei, der ihm unterstehenden Beis und anderer ausgewiesener und geflüchteter Türken; dazu wurden später noch die konfiszierten Ländereien der einheimischen Rebellen geschlagen.

b. Ländereien ohne Erbberechtigte und das herrenlose Land.

c. Die laut Dekret von 1851 als Staatseigentum erklärten Wälder, etwa 2 ½ Millionen ha umfassend, von denen sich 10 % zu Ackerbau -Kolonisation eignen sollen. Und endlich

d. Die von der französischen Regierung durch Kauf und Expropriierung dem Domänenbesitz zugefügten Ländereien.

Die französische Kolonisation konnte also auf zwei Wegen einsetzen: Die Regierung konnte den Kolonisten die ihr zustehenden Ländereien zur Verfügung stellen, oder die Kolonisten konnten selbst Land von den Eingeborenen erwerben. In der Regel begann man nicht mit Ansiedelung einzelner Kolonisten, sondern mit Anlage sogenannter „Zentren“, und soweit dafür abgerundeter Landbesitz nicht zur Verfügung der Regierung war, mussten die Eingeborenen expropriiert werden, anfangs nicht immer friedlich und gegen wirklich entsprechende Entschädigung.

Betrachten wir zunächst die Kolonisation auf Eingeborenen-Land. Es waren meist recht fragwürdige und abenteuerliche Gesellen, welche als erste ,,Kolonisten“ ins Land kamen und von den Eingeborenen, welche nicht an eine dauernde Besetzung des Landes durch die Franzosen glaubten, Grundbesitz auf Spekulation zu sehr billigen Preisen kauften und auf oft ganz phantastischen Unterlagen mit Gewinn weiter verkauften. Daraus ergaben sich natürlich endlose Verwicklungen, welche durch Ordonnanzen von 1844 und 1846 schließlich sehr glücklich dahin geregelt wurden, dass alle seit Eroberung Algeriens von Fremden gekauften Ländereien als Staatsdomänen erklärt und dem Käufer ein dem gezahlten Kaufpreis entsprechendes Stück Land definitiv überwiesen wurde. Aber auch den Eingeborenen war gleichzeitig die Beibringung von Besitztiteln für ihre Ländereien auferlegt worden, und zwar sollten nur die vor dem 5. Juli 1830 besessenen als gültig erklärt, der Rest als Staatsdomäne betrachtet werden. Dieses Verlangen erwies sich aber als ungerecht und umso schwerer durchführbar, je näher die Kolonisierung den Nomadenstämmen rückte, und deshalb wurde das Gesetz 1850 abgeschafft.

Dagegen kam man nunmehr zu der Ansicht, dass die einheimischen Stämme überhaupt mehr Land besäßen, als sie bedürften, und im Interesse der Kolonisation beschloss man, ihnen nur soviel Land zu belassen, als zu ihrem Unterhalt notwendig sei, sie zu ,,kantonnieren“, die ihnen so zugewiesenen Ländereien aber als ihren festen und unveränderlichen Besitz zu erklären. Diese Maßnahmen konnten aber nicht durchgeführt werden, und Napoleon III. erklärte 1863, nachdem er Algerien selbst besucht, die Ländereien von 643 algerischen Stämmen als unveränderlichen Besitz, der baldmöglichst abgegrenzt, den einzelnen Stämmen und Dörfern überwiesen und wo angänglich auch unter einzelnen Eingeborenen aufgeteilt werden sollte. Im Jahre 1870, als der Krieg diese schwierige Arbeit unterbrach, war erst der Besitz von 374 Stämmen geregelt, und zwar hatte man von den 7 Millionen ha, die dabei in Frage kamen, 1 Million den Staatsdomänen und fast 3 Millionen dem ,,Melk“ überwiesen, während der Hauptteil ,,Arch“, Stammesland, blieb, das weder veräußert noch mit Hypotheken belastet werden konnte; sowohl Melk wie Arch unterstanden dem muselmanischen Recht.

Um die Kolonisation zu begünstigen und den Verkauf von Melk und Arch zu erleichtern bzw. überhaupt erst zu ermöglichen, wurden beide Arten Grundbesitz durch Gesetze von 1873 und 1887 vollständig unter das französische Landgesetz gestellt. Damit waren freilich auch sehr kostspielige Vermessungsarbeiten und endlose Umständlichkeiten verknüpft, und dabei hatte man erst einen Teil des Teil in Angriff genommen, ausschließlich der Kabilei, wo das Land von Eingeborenen so dicht besetzt, dass für Kolonisten überhaupt kein Platz ist; aber auch anderwärts war dem Familien-Kommunismus und den arabischen Gesetzen und Sitten gegenüber Landerwerb schwer durchzuführen, und man musste endlich einsehen, dass man in dem Bestreben, alle Einrichtungen in Algerien nach französischem Muster zu gestalten, zu weit gegangen war. Das Gesetz vom 16. Februar 1897 griff deshalb nach langen Beratungen darauf zurück, dass der muselmanische Besitz nur auf ausdrücklichen Wunsch des Eigentümers selbst dem Landgesetz der Kolonie zu unterstellen sei, in welches man auch Dispositionen anderer europäischer Staaten und der australischen Torrens-Akte aufnahm. Für die Eingeborenen bedeutete dieses neue Gesetz, nach Lage ihrer eigenartigen Verhältnisse, eine wesentliche Sicherung ihres Landbesitzes gegen ungerechte Versteigerungen.

Die genaue Landesaufnahme mit Hilfe des militärischen Spezialdienstes hat inzwischen große Fortschritte gemacht und ist in trefflichen Karten niedergelegt worden.

Der Grundbegriff der Domäne in Algier ist durch Gesetz vom 16. Juni 1851 geschaffen worden, welches von National-, Departements-und Gemeinde-Domänen handelt und eine ,,domaine public“ und eine ,,domaine prive“ unterscheidet; erstere umfasst alle ihrer Natur nach der Allgemeinheit gehörigen und unveräußerlichen Ländereien und Besitze aller Alt, darunter ausdrücklich alle Wasserläufe und Quellen, Wege usw., mit Ausnahme der vor 1851 erworbenen Besitz- und Nutzrechte; die ,,domaine prive“ umfasst die Beiliks, die herrenlosen Ländereien und die Wälder; nur letztere kann aufgeteilt und veräußert werden. Obgleich Algerien seit 1900 die Rechte einer juristischen Person und ein eigenes Budget besitzt, ist der Besitz seiner Domänen doch noch immer dem französischen Staate vorbehalten, und nur deren Einnahmen und Ausgaben figurieren im algerischen Budget.

Die Kolonisation auf Domänenland konnte entweder durch den Staat direkt oder durch Vermittlung von Kolonisationsgesellschaften erfolgen, welche ihnen zugewiesene größere Ländereien unter einzelne Ansiedler aufteilen sollten; der letztere Weg ist in Algerien nur selten und ohne Erfolg betreten worden, verschiedene Kompanien hielten es für sie dienlicher, ihr Konzessionsland an Eingeborene zu vermieten, statt es unter Kolonisten aufzuteilen, und zudem waren ihre Verwaltungskosten viel zu hohe. So hatte z. B. die Cie.-Franco-algérienne als Société de 1' Habra und de la Macta 1865 eine Landkonzession von 24.000 ha zur Sanierung und Nutzbarmachung der Habra-Ebene in der Provinz Oran erhalten, davon bis 1882 aber nur 1425 ha mit Zerealien, Wein, Luzerne und Früchten bestellt und für Einrichtungskosten 11 Millionen Francs und außerdem 1 2/3 Millionen Francs für die Haifa -Gewinnung ausgegeben. Ebenso erfolglos war die gleichfalls 1865 gegründete und mit einer Konzession von 100.000 ha ausgestattete Société generale algerienne, welche 1877 in Liquidation trat und ihre Domäne an die Cie. algérienne überließ, welche sie an Eingeborene verpachtet. So hat denn der Staat in der Tat den Hauptteil der Kolonisation selbst besorgt und von den 1 1/2 Millionen ha Landes, welche gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Teil im Besitz von Europäern waren, sind 1.300.000 ha von Staatsdomänen und nur 200.000 ha von Privaten durch Kauf von Eingeborenen erworben.

Jedes Kolonie-Zentrum erhielt eine Dorfanlage mit den Gebäuden für Verwaltung, Schule, Kirche und Handwerkerwohnungen, jedes Dorf-Los mit einem Hause daselbst umfasste 30 ha, jedes Farm -Los mit einem Hause auf dem Lande 100 ha, und zwar wurde anfangs ein Los gratis überlassen und nur die Einhaltung gewisser Bedingungen vorgeschrieben. Zwischen 1850 und 1860 ließ man die Kolonisten, nachdem durch die Beruhigung des Landes eine Bevormundung weniger nötig schien, selbständiger vorgehen und im allgemeinen diejenigen Ländereien kaufen, die sie wünschten. Der große Aufstand 1871 endete mit der Konfiszierung von 300.000 ha Eingeborenen -Land, und die Regierung ging von da ab mehr zu dem System der Land-Konzessionen über, deren Bedingungen durch Gesetz von 1878 definitiv geregelt wurden. Der Verkauf von Losen, wie er meist für Farmen gewählt wird, erfolgt demgemäß jährlich einmal in öffentlicher Versteigerung, nur an Europäer und mit der Klausel, das Land, je nachdem es Dorf- bezw. Farmland ist, während der nächsten 10 bzw. 20 Jahre nicht an einen nichtnaturalisierten Eingeborenen zu verkaufen. Der Kaufpreis ist in sechs gleichen Raten zu zahlen, die erste beim Zuschlag, die zweite nach zwei Jahren und die folgenden nach je einem Jahre, bei Berechnung von 5 % Verzugszinsen bei unpünktlicher Zahlung. Dagegen werden Gratis-Landkonzessionen laut Dekret von 1878 nur an in Frankreich geborene Franzosen und an naturalisierte Europäer erteilt, welche für ein Dorf-Los von 25 bis 40 ha mindestens 5.000 Francs, für jeden Hektar Farmland, bis höchstens 100 ha umfassend, wenigstens 150 Francs für jeden Hektar Kapitalbesitz nachweisen können und sich verpflichten, mindestens fünf Jahre auf dem überwiesenen Lande zu wohnen; auch werden sogenannte Industrieparzellen von 2 — 4 ha gratis an solche Kolonisten vergeben, welche ein für das Dorfleben nötiges Gewerbe betreiben. Die Einhändigung des definitiven Besitztitels ist noch abhängig von gewissen Bedingungen betr. Bewohnung und Verbesserung des betr. Grundstücks. Gegen den Wortlaut des Gesetzes ist übrigens etwa 1/3 der erteilten Konzessionen an in Algier geborene Söhne französischer Kolonisten gegeben worden. Sowohl die Käufer von Domänenland, wie die Erwerber von Gratis-Landkonzessionen genießen bei der Übersiedelung nach der Kolonie auf Dampfern und Eisenbahnen eine Ermäßigung von 50 % des Tarifs für sich und ihr Ackerbaumaterial.

Neuerdings ist in Paris ein besonderes Auskunftsbureau für Auswanderung nach Algerien eingerichtet worden; trotz aller von der französischen Regierung aufgewandten Mühe, in erster Linie Landbauer in die Kolonie zu ziehen, ist aber die bedenkliche Erscheinung zu verzeichnen, dass die europäische Ackerbaubevölkerung in Algerien von 205.000 Köpfen im Jahre 1894 auf 189.000 Ende 1901 zurückgegangen war.

Zwischen den Jahren 1830 und 1896 hat die Regierung im ganzen 1.385.000 ha der Kolonisation überwiesen, und sie verfügte Anfang 1902 noch über 782.000 ha Land im Werte von 33 Millionen Francs; diese liegen allerdings überwiegend im Gebiet der Steppen und der Sahara; soweit der Teil in Betracht kommt, sind die Ländereien teils bereits zu öffentlichen Zwecken reserviert, teils steril, sodass schon 1896 in Wahrheit nur noch 250.000 ha für die eigentliche Kolonisation übrig blieben, und auch diese sind inzwischen sehr reduziert, da jedes Jahr neue Kolonisationszentren entstehen und die alten Zentren durch spontane Zuwanderung von Ansiedlern erweitert werden. So schuf man allein 1900 — 01 in den drei Departements 26 neue Zentren und vergrößerte diese und andere durch 984 Konzessionen mit 52.000 ha. Eine Dorfanlage mit 1.500 ha seitens der Regierung kostet durchschnittlich 200.000 Francs an Grundwert und 160.000 Francs für die ersten Einrichtungen.

Eine eigentliche französische Kolonisation setzte erst 1844 ein dadurch, dass General Bugeaud Soldaten ansiedelte, die allerdings schon nach Jahresfrist wieder verschwanden. Nach der Revolution von 1848 bewilligte die Nationalversammlung 25 Millionen Francs für Ackerbaukolonien in Algerien zugunsten arbeitsloser Pariser Arbeiter, die allerdings meist nichts von Landwirtschaft verstanden, immerhin aber Anlass zur Gründung von 41 Kolonien gaben. Man begann mit der Siedelung in der Nähe der Küste und an den Hauptflüssen und drang dann durch die Nebentäler allmählich bis zur Schott-Region hinauf vor.

1873 wurden sodann eine größere Anzahl meist mittelloser Familien aus Elsaß-Lothringen durch die Societe protectrice des Alsaciens-Lorraines zur Auswanderung nach Algerien veranlasst, wo man sie überwiegend auf den, 1871 den Rebellen konfiszierten Ländereien ansiedelte. Inzwischen sind Sümpfe drainiert. Bäume gepflanzt und dadurch ungesunde Gegenden bewohnbar gemacht worden, Stauanlagen und Bohrungen haben für Bewässerung gesorgt, und die Vollziehung der ersten Arbeiten ist vielfach Sträflingen übertragen worden.

Der Preis von Grund und Boden für den Hektar variiert natürlich stark, ist in der Nähe von Städten etwa 400 bis 1.000 Francs, steigt für gut bewässerte Striche nahe den Küstenplätzen auf 5.000 bis 10.000 Francs und sinkt, je mehr man nach dem Innern zu vordringt, für urbar gemachtes gutes Land aber selten unter 200 Francs. In den von Europäern noch wenig bewohnten Gegenden der gemischten Gemeinden sind noch große Domänen, wo der Hektar zu 100 Francs zu haben ist. Die Hypothekenzinsen, welche französische Kapitalisten in Algerien berechnen, betragen etwa 5 — 7 %.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Algerien