Proklamation Alexanders beim Ausbruch des Krieges gegen Frankreich 1812

Längst haben wir die feindlichen Absichten des französischen Kaisers gegen Russland beobachtet. Wir hofften durch unsere Geduld ihn auf schonendere Gesinnungen zu bringen, und durch unsere Mäßigung ihn zu überzeugen, dass sowohl Politik als Gerechtigkeit nicht gestatteten, dass eine Nation ganz Europa unter ihrem Gewichte niederzudrücken suche. Unser freundschaftliches Bemühen ward wiederholt getäuscht, und da wir sahen, dass unsere Geduld kein Vertrauen erweckte, sondern im Gegenteil nur zum Übermut reizte, so mussten wir dem Wunsche nach längerer Erhaltung der Buhe unsers Volks entsagen und zu den Waffen greifen; denn das kann keine Ruhe genannt werden, was nur mit Aufopferung unsers teuersten Interesse zu erkaufen steht! Aber selbst jetzt noch, um dem Feinde keine Entschuldigung seines Treubruchs zu lassen, gaben wir dessen häufigen Sendungen in unser Hauptquartier stets Gehör; stets zeigten wir uns geneigt, den Bruch zu vermeiden, obschon wir uns an den Grenzen aufgestellt hatten, den Frieden zu erhalten oder den Kampf zu bestehen.

Doch weder Mäßigung noch Geduld bewirkten etwas anders bei dem französischen Kaiser, als dass er Zeit gewann, seine beabsichtigte, ehrvergessene Treulosigkeit ins Werk zu setzen. Während noch die friedlichen Worte seines Generaladjutanten, des Grafen Narbonne, in unsern Ohren tönten, ging er über den Niemen und griff Kowno an, und begann so den Krieg mit dem niedrigsten, blutdürstigsten Angriffe! Die Hoffnung auf Frieden ist vorüber; das ist klar! Nichts bleibt uns übrig, als dem Angreifer unsere braven Soldaten entgegen zu stellen und den höchsten Richter über Alle anzurufen, dass er die gerechte Sache segne! Es ist unnötig, unsere Generale und Regimentskommandanten, so wie unsere Truppen im Allgemeinen an ihre Pflicht und Ehre zu erinnern. Das Blut der Slaven, so berühmt durch Tugenden und Siege, fließt in ihren Adern. Soldaten, ihr verteidigt Eure Religion, Euer Vaterland und Eure Freiheit! Euer Kaiser führt euch an, und der Gott der Gerechtigkeit ist gegen den, der den Frieden bricht. Wilna, den 25sten Juni 1812.


Alexander