Die russischen Militärkolonien. (Aus Lyalls Reisen.)

Kurz nach dem letzten Kriege wandte Kaiser Alexander seine ernstliche Aufmerksamkeit auf einen Plan, um seine Armee, die fast eine Million Menschen ausmacht, auf eine zweckmäßigere Weise zu unterhalten. Der General Araktschejew, der sich vom gemeinen Kanonier zum Artilleriegeneral aufgeschwungen hat, soll querst die Idee angegeben haben, die Soldaten bei den Kronbauern einzuquartieren, militärische Dörfer anzulegen und in denselben jedem Hause ein Stück Land zuzuteilen. Auch hat er den ersten Gesetzentwurf für die Administration dieser Kolonien ausgearbeitet. Bei dieser Einrichtung will man folgende Zwecke erreichen: 1) die Abgaben für die Armee zu vermindern, indem man die Soldaten durch Feldarbeit selbst zu ihrem Unterhalte beitragen lässt; 2) die Landarmee zu verstärken, da eine eben so große Anzahl Kronbauern die Reservearmee bilden und alle männlichen Einwohner in einem Orte Waffen tragen sollen; 3) die Familien der Soldaten zu unterhalten, wenn diese ins Feld ziehen müssen; 4) endlich werden große Landstrecken dadurch angebaut und bevölkert werden, denen es bisher nur an Händen zur Kultivierung fehlte. So soll allmählich die Militärmacht von ganz Russland an den Grenzen von Polen, der Türkei und am Kaukasus ansässig gemacht werden. Die Art, auf welche ein Regiment nach diesem Plane kolonisiert wird, ist folgende: Ein Ukas bestimmt die Krondörfer, welche in Militärkolonien verwandelt werden sollen. Zuerst wird Name, Alter und Eigentum jedes Bewohners aufgezeichnet, und diejenigen, welche über 50 Jahre alt sind, oder falls keine hinreichende Anzahl von diesen vorhanden ist, die Nächstältesten, sollen die Meisterkolonisten ausmachen. Jeder Meisterkolonist erhält 40 Tonnen Landes unter der Verpflichtung, einen Soldaten, seine Familie, und wenn er ein Kavallerist ist, auch sein Pferd zu unterhalten. Dagegen ist der Soldat verpflichtet, dem Meisterkolonisten sowohl bei der Feldarbeit als bei den häuslichen Geschäften zu helfen, so lange ihn keine Militärpflicht daran verhindert. Der Beamte, welcher der Kolonisierung vorsteht, soll darauf sehen, dass ein Soldat mit seiner Familie bei einem Meisterkolonisten einquartiert werde, der keine hat. Der Meisterkolonist ist verpflichtet, einen Sohn, einen Verwandten oder einen Freund als Mitgehilfen anzunehmen, der mit Erlaubnis des Obersten an seine Stelle tritt, wenn er stirbt. Der einquartierte Soldat heißt Feldsoldat, und diese Feldsoldaten machen die wesentliche Stärke der Kolonien aus. Im Regierungsdistrikt Nowgorod sind sie nur Infanteristen, aber in dem südlichen Teil des Reichs werden sie als Infanteristen und als Kavalleristen exerziert. Es hängt vom kommandierenden Offizier ab, wie viel Hilfe der Meisterkolonist in der Exerzierzeit im Frühling und Sommer vom Soldaten haben soll, während er ihn und sein Pferd unterhält. Der Feldsoldat bleibt 25 Jahre, wenn er Russe, und 20 Jahre, wenn er Pole ist, in seinem doppelten Dienste als Soldat und Landbebauer; wenn diese Zeit verlaufen ist, so kann er sich vom Dienste lossagen, oder auch sich zum Invaliden erklären lassen, und dann nimmt sein Reserve seinen Platz ein; denn dicht bei der Wohnung des Meisterkolonisten wird ein dieser gleiches Haus aufgeführt, welches der Reservemann, der gleichsam des Soldaten anderes Ich ist, bewohnt. Der Oberst wählt ihn unter den Bauern und gewöhnlich ist er ein Bruder oder ein Sohn vom Meisterkolonisten. Er wird ordentlich im Kriegsdienste unterrichtet und tritt an die Stelle des Feldsoldaten, wenn dieser getötet oder verwundet wird, und wenn Gefahr vorhanden ist, so muss er in die Landwehr eintreten. Er hilft mit beim Landbau, oder treibt ein Handwerk.

Einige dieser Reservemänner scheinen auch Landeigentum zu erhalten. Sowohl der Meisterkolonist, als der Feldsoldat und Reservemann können sich nach Gutbefinden verheiraten und werden selbst dazu aufgemuntert; die Frauenzimmer aber, welche sich in den Militärkolonien aufhalten, dürfen sich nicht außer denselben verehelichen. Knaben von 13-17 Jahren werden Kantonisten genannt; sie werden vollkommen exerziert, müssen aber inzwischen auch die Schule besuchen. Knaben zwischen 8 und 13 Jahren gehen zur Schule und finden sich außerdem jeden zweiten Tag auf dem Exerzierplatze ein. Sie sowohl als die Kantonisten tragen Montierung und nur die, welche unter 8 Jahren sind, bleiben bei den Eltern. Alle Knaben werden nach der Lancasterschen Methode unterrichtet, sie lernen lesen, schreiben und rechnen, haben einen eigenen Soldatenkatechismus, werden im Reiten und Fechten unterrichtet und; wenn sie 13 Jahre alt sind, in dem Dorfe, wo das Hauptquartier ist, in Corps vereinigt. Die Tüchtigsten und Aufmerksamsten werden Offiziere, d. h. unter sich, nicht aber nachher im Kriegsdienste. Eine Militärkolonie hat also 9 Bestandteile, nämlich den Meisterkolonisten, seinen Assistenten, den Feldsoldaten, den Reservemann, den Kantonisten, den Knaben über 8 Jahren, den Knaben unter 8 Jahren, die Frauen, Mädchen und Invaliden. Südrussland enthält schon 380 solcher Dörfer in den Distrikten Cherson, Charkow und Ekaterinoslaw. Im Jahre 1822 enthielten sie 814.000 Mann, eben so viel waren im Distrikte Nowgorod. General Graf von Witt ist Chef der russischen Südkolonien; von seinem Erkenntnisse kann nur an den Kaiser appelliert werden. Keiner darf ohne einen besondern Pass der Militärautorität diesen Militärdistrikt betreten; selbst der Postdienst wird von Soldaten besorgt und die Posteinrichtungen erhalten durch die militärische Disziplin große Vorzüge vor andern. Auch Kirchen sind in den meisten dieser Dörfer aufgeführt. In Russland gibt es 6 Millionen Bauern, welche der Krone gehören und 4 derselben sind hinreichend, um die ganze Armee anzubringen, welche aus einer Million besteht. So wird Russland außer seiner jetzigen Armee mit der Zeit eine ebenso starke aus seinen Kolonisten erhalten, welche von der Reserve und den Kantonisten ununterbrochen auf das Vorteilhafteste rekrutiert werden kann. —