Aufruf Alexanders an die russische Nation nach dem Einzuge der Franzosen in Moskau

Der Feind ist in Moskau eingerückt! Möge die Nachricht, statt uns in kleinmütige Zaghaftigkeit zu stürzen, vielmehr zur verdoppelten Ausdauer und Entschlossenheit uns anfeuern. Wir verteidigen die gerechte Sache und dürfen hoffen, alle die Schmach, womit der Welttyrann uns niederzudrücken strebt, auf sein und seiner Knechte Haupt abzulenken. Moskau ist allerdings in den Händen der französischen Truppen, allein nicht zufolge eines Sieges über unsere Heere. In Übereinstimmung mit den ausgezeichnetsten Generalen hat der Oberfeldherr es für das Weiseste gehalten, einen Augenblick der Notwendigkeit nachzugeben. Er geht zurück, die Masse der Streitkräfte zu vermehren, mit welchen er sich auf den Feind zu stürben gedenkt. So wird der kurze Triumph des französischen Anführers seinen unvermeidlichen Untergang nach sich ziehen.

Wir wissen, wie peinlich es jedem echtgesinnten Russen sein müsse, die Verwüster seines Landes in der alten Hauptstadt des Reichs zu sehen. Doch bloß ihre Mauern fielen in jener Hände. Verlassen von Bewohnern, und seiner Schätze entblößt, bietet sie dem unbarmherzigen Länderstürmer, der auf den Ruinen des Reichs einen neuen Thron daselbst errichten wollte, eher ein Grab, als einen Aufenthaltsort dar. Dieser übermütige Zerstörer von Königreichen hoffte, mit seinem Einzug in Moskau der Herr unseres Schicksals zu werden, und uns einen beliebigen Frieden vorschreiben zu können. Moskau aber bietet ihm nicht nur kein Mittel zur Herrschaft, sondern nicht einmal zur Existenz dar. Unsere täglich sich vermehrenden Streitkräfte umgeben Moskau, und werden alle Landstraßen besetzen, um jeden feindlichen Trupp zu vernichten, der Fourage zu holen ausgesendet wird. So wird der Feind zu seinem Entsetzen einsehen, wie irrig er auf den Besitz von Moskau die Eroberung des Reichs berechnete. Die Not wird ihn endlich zwingen, dem Hunger durch die einschließenden Reihen unseres furchtbaren Heers zu entfliehen. Betrachtet den Zustand des Feindes. Mit 400.000 Mann kam er nach Russland; aber welches natürliche Band fesselt sie an seine Eroberungspläne? Keins! Ihr größter Bestandteil gehört verschiedenen unterjochten Völkerschaften an, die ihm nicht aus persönlicher Anhänglichkeit, noch um ihres Landes Ehre willen, sondern bloß aus niedriger schmachvoller Furcht dienen. Die innere Unhaltbarkeit eines solchen Völkergemisches legt sich bereits zu Tage. Die eine Hälfte des so widernatürlich vereinigten Heers ist vernichtet, teils durch die Tapferkeit unserer Truppen, teils durch Desertion, Krankheit und Hunger. Die kläglichen Überreste sind in Moskau. Ohne Zweifel schmeichelt es des angeblichen Siegers Stolz, so kühn, eigentlich aber unüberlegt in das innere Russland eingedrungen zu sein. Allein bei allen Dingen entscheidet das Ende!


Noch ist er in keine Gegend gekommen, wo irgend eine seiner Taten ihm Furcht hervorgebracht, oder ihm die Huldigung eines Russen gewonnen hätte. Treu wird Russland dem väterlichen Throne seines Fürsten bleiben, der seine schirmenden Waffen über dasselbe hält. Es hat noch nie ein Unterdrückerjoch getragen und wird niemals die Unterwürfigkeit unter eine fremde Macht dulden. Niemals wird es seiner köstlichen Unabhängigkeit, seinen Gesetzen und seiner Religion entsagen, und wir alle wollen unser Blut zu ihrer Verteidigung verspritzen. Feurig glühend lebt in Allen dieser Entschluss, und hat sich durch des Volks schnelle und freiwillige Stellung unter den Fahnen der Vaterlandsliebe kund getan. Wer kann von solchem Schilde gedeckt, entehrender Furcht Raum geben? Ist ein einziger Bürger des Reichs so verworfen, dass er verzweifelte, wenn alle Stände nur Rache atmen? Sieht nicht der Feind, aller seiner Hilfsmittel beraubt und täglich mehr seine Kräfte erschöpfend, sich inmitten einer mächtigen Nation von ihren Heeren umgeben, deren eins ihn von vorne bedroht, während drei andere ihm alle Hilfsquellen abschneiden und seine Flucht verbieten? Kann da ein echtgebohrner Russe zagen und fürchten, während Spanien seine Fesseln gebrochen hat und bereits das französische Gebiet selbst bedroht; während der größte Teil von Europa, beschimpft und geplündert von dem französischen Gewalthaber, ihm nur mit Ingrimm dient, und von uns das Zeichen zur allgemeinen Wiederbefreiung erwartet; während Frankreich selbst das Ende eines unabsehbar blutigen Kampfes herbeiwünscht, welchen nichts als eines Einzigen schrankenloser Ehrgeiz begonnen hat?

Wenn die ganze Welt unseres Beispiels und Antriebs harrt, sollten wir uns kleinmütig dem erhabenen Auftrage entziehen? Nein! denn gewiss haben die Drangsale des menschlichen Geschlechts ihre äußerste Höhe erreicht. Wir brauchen nur um uns zu blicken, und wir gewahren überall die Verheerungen des Kriegs und die Grausamkeiten der entsetzlichsten Ehrsucht. Doch wir achten ihrer nicht, um unserer Freiheit und der Menschheit willen. Wir empfinden das süße Bewusstsein, recht zu handeln, und unsterbliche Ehre muss der Nation werden, welche die Leiden eines erbarmungslosen Kriegs duldend und dem Feinde entschlossen widerstehend, einen dauerhaften Frieden nicht allein sich, sondern auch den unglücklichen Ländern erzwingt, die notgedrungen für den Tyrannen fechten. Erhaben und. einer großen Nation würdig ist es, Böses so mit Gutem zu vergelten. Allmächtiger Gott! ist die Sache, für welche wir fechten, nicht die gerechte? Sieh mit gnädigem Auge herab auf Deine geheiligte Kirche; Sei der Hort und die Stärke Deines Volks! Lass es Deine und seine Feinde besiegen! Lass es Deiner Gerechtigkeit strafendes Werkzeug sein, und selbst errettet, die Freiheit und Unabhängigkeit der Nationen und Könige retten!!

Alexander.