Alexanders Regierungsantritt im Jahre 1801

Ich sah den in jugendlicher Schönheit blühenden Monarchen früh um 9 Uhr aus seinen innern Zimmern heraustreten: der ganze Palast war voll noch stummfreudiger Menschen jeden Standes, jeden Ranges, die alle, noch erstaunt über die plötzliche Veränderung, ihre forschenden Blicke auf einander und dann auf ihn hefteten. Die Herzen gehörten ihm schon lange. Alles, was in mir lebte, dachte und empfand, schien mir jetzt in ihn eindringen zu wollen und mit ihm zu fühlen und zu denken; ich würde nie etwas Anziehenderes schreiben, wenn ich alle Gedanken und Empfindungen noch einmal so lebendig aus meinem Innersten hervorrufen könnte, wie sie in jenem merkwürdigen Augenblicke mein Innerstes bewegten. Das Gefühl seiner Lage schien sich in sanftem Trauern, aber in tiefem Bewusstsein seines reinen, edlen Sinnes auf seinem schönen Gesichte auszudrücken.

Die Menge, der er heute das erste und jetzt gewiss schmerzliche Opfer durch seine öffentliche Erscheinung bringen musste, und die sich um ihn her und hinter ihm wie ein Strom ergoss, schien in seinem Herzen eine schmerzliche Empfindung zu erwecken. Ich sah, dass er tief dachte und tief fühlte. Sein blondes Haar war in Unordnung und ohne Puder. Er hatte eine sehr arbeitsvolle, sehr bedeutende Nacht gelebt; sein ganzes Äußere trug die Spuren davon an sich.


Meine Betrachtungen wurden jetzt ernster in diesem Menschengewühl; wohin ich blickte, sah ich Gesichter bedeutender Männer, deren jedes mir eine Reihe neuer, sonderbarer Ideenverbindungen aufdrang. Hoffnung, Furcht, Freude, Angst, Ungewissheit, Besorglichkeit, gutes Bewusstsein, ein ruhiges Gewissen drückten sich nach den verschiedenen Lagen und Verhältnissen auf den Gesichtern der bedeutenden Männer aus, die hier gedrängt zusammenstanden, und von welchen jeder sein Schicksal dem kaiserlichen Jüngling abzufragen schien. Ich kannte seine ganze moralische Würde, seine Milde, seine Güte, seine Gerechtigkeitsliebe, seinen feinen schonenden Sinn; aber die seltene Tugend, die allen diesen schönen Eigenschaften die Krone aufsetzt, die sie erst zu königlichen Tugenden macht; der feste Wille, die unerschütterliche Stärke in Ausübung dieses moralischen Sinnes und der anerkannten Pflichten war noch nicht erprobt.

Erst jetzt trat er in die Schranken, diesen gefährlichen Kampf mit sich, und den noch weit gefährlicheren mit denen, welchen er einen Teil seiner Macht anvertrauen muss, und die jede seiner Leidenschaften, jede seiner Schwächen so gern zu benutzen suchen werden, zu beginnen. Ein Jüngling von 23 Jahren an der Spitze des größten Reichs der Erde! Ich sah in diesem Augenblicke Millionen in Scharen von Geistern um ihn her versammelt, die ein plötzlicher Aufruf zur Auferstehung hervorgerufen, und die nun alle voll zweifelhafter Erwartung ihres Loses auf den schönen Genius blickten, dem der Endausspruch anvertraut ward. Dieses Bild schwebte den ganzen Tag vor meinen Augen, und zum erstenmal schlief ich ruhig und sicher unter den Einigen dieses Genius ein.

Klinger.