Alexanders Persönlichkeit und Charakter

Eine Persönlichkeit, welche die erbittertsten Feinde entwaffnete, welche so glänzende Siege errang über Erbitterung, über getäuschte Erwartungen, über das Gefühl des gedemütigten Nationalstolzes, verdient unsere gespannteste Aufmerksamkeit.

Es war nicht sein Verdienst, dass er auch in körperlicher Hinsicht für einen der schönsten Männer seines großen Reiches gehalten wurde. Aber wie es dem Plinius erlaubt war, in seiner Lobschrift auf Trajan, der körperlichen Schönheit seines Helden zu erwähnen, sei es auch mir erlaubt. Welch einen Wert hat die angeborne körperliche Anmut! Sie gewinnt uns auch die, welche nur durch das Auge mit uns in Berührung kommen! Ganz vorzüglich glänzte seine körperliche Persönlichkeit, wenn er zu Pferde stieg, wo er durch seine edle Haltung das Auge bezauberte. So tönte ihm oft das begeisterte Hurrah seiner Krieger entgegen, wenn er an ihrer Spitze erschien, sie die Bahn des Ruhms zu führen. Er war der Liebling seines Volks schon wegen seiner körperlichen Anmut, wegen der Mischung des Freundlichen, des Feurigen und Milden in seinem Bück! Doch diese äußern Vorzüge erscheinen als untergeordnete, wenn wir seine geistige Persönlichkeit ins Auge fassen. Die Natur hatte ihn mit trefflichen geistigen Anlagen ausgerüstet, ein mit Umsicht geleiteter Unterricht hatte sie glücklich entwickelt. Alexanders ruhmwürdige Großmutter, Katharina die Zweite, hatte selbst einen sorgfältig geprüften Erziehungsplan entworfen, welcher dem Grafen Nikolaus Soltikow übergeben wurde, der als Oberhofmeister seine Erziehung zu leiten hatte. Musik und Dichtkunst waren von dem Unterrichtsplane ausgeschlossen, um nicht durch zu viel Gegenstände Zeit und Kraft zu zersplittern. Dem Genfer Gelehrten Laharpe wurden die vorzüglichsten Gegenstände des Unterrichts übertragen, und unstreitig verdankte Alexander zum Teil diesem höchst tüchtigen Manne seine Hinneigung zu den freisinnigen und idealen Ansichten, welche sein Regentenleben so hervorstechend bezeichnen. Professor Kraft unterrichtete ihn eine Zeitlang in der Experimentalphysik, der berühmte Naturforscher Pallas in der Pflanzenkunde. Mit großer Schnelligkeit entwickelten sich die geistigen Anlagen Alexanders und er gehörte unstreitig in den Jahren seiner Reife zu den geistreichsten Fürsten der neueren Zeit überhaupt. Da die geistige Bildung sich vorzugsweise durch den Ausdruck unserer Ideen, durch die Sprache, kund gibt, so verdient es unsere Aufmerksamkeit, dass ein Mann von der gediegensten Geistesbildung, der ihm im Leben nahe stand, das Urteil über ihn fällt:


„Er wusste stets des rechten Worts sich zu bedienen.“

Dies Urteil des Präsidenten Ouwaroff über den ruhmvollen Selbstherrscher findet sich bestätigt in allen seinen Worten, welche zur öffentlichen Kenntnis gelangt sind. Ouwaroff sagt in seiner Gedächtnisschrift von ihm mit Recht:

„In den öffentlichen Angelegenheiten hatte er einen geübten Blick, der ohne Zögern ihre Grenzen bestimmt, jenen Scharfblick, der bis auf den Grund der Dinge dringt, jene Geistesgegenwart, die mit Schnelligkeit den wirklichen Sinn erriet.“

In seinem ganzen Regentenleben finden wir bei ihm eine hohe Empfänglichkeit für große Ideen, und eine großartige Ansicht seiner Bestimmung als Herrscher war ihm durchaus eigentümlich geworden. Die höhere Geistesbildung, die höhere geistige Regsamkeit hat sich immer durch eine edle Wissbegier verkündet. Diese wurde bei Alexander sichtbar auf seinen vielfachen Reisen in die gebildetsten Länder Europas. In jedem Lande ist die geistige Bildung des Fürsten von der höchsten einflussreichsten Wichtigkeit, aber vorzugsweise ist dies in Russland der Fall. Ein geistvoller Schriftsteller, welcher das Innere Russlands aus vieljähriger eigener Ansicht kennt, sagt sehr wahr und treffend:

„Die Bildung der russischen Nation ist weniger eine von Innen her entwickelte, als vielmehr eine durch kräftige Maßregeln großer Regenten gleichsam von Außen herbeigeführte und beflügelte.“

Das Haus Romanow hat Russland mehrere solcher Regenten gegeben, und Alexander ist unter ihnen einer der ruhmwürdigsten. Es ist schon früher gezeigt worden, wie er vielseitig auf die geistige Erhebung seiner Nation kräftig eingewirkt hat. Jede geistige Entwickelung war sicher, in ihm einen Beförderer zu finden. Hervorragende literarische Verdienste fanden nicht bloß in Russland seine freudige Anerkennung, auch über die Grenzen seines großen Reiches hinaus wurden sie von ihm erkannt und aufgemuntert. Goethe erhielt von ihm den Alexander-Newski, Wieland den St. Annen- Orden. Auf seiner Reise durch die Schweiz besuchte er Fellenberg und Pestalozzi, auf seiner Durchreise durch Wittenberg zog er den Geschichtsschreiber Schroekh zur Tafel. Seine hohe Geistesreife zeigte er vorzugsweise dadurch, dass er für jeden Platz den rechten Mann zu finden wusste.

Seiner hohen geistigen Ausbildung war seine Geschmacksbildung angemessen. Alle schönen Künste liebte er und förderte ihr Gedeihen im Kreise seines Wirkens auf die vielseitigste, umfassendste Weise. Der Hof Alexanders war ausgestattet mit Allem, was die Verfeinerung der Sitten Anziehendes, Genussreiches, Bezauberndes gewährt. Die Hoffeste zeichneten sich aus durch geschmackvolle Pracht. Am Hofe Alexanders vereinigte sich Alles, was die höchste Verfeinerung unserer Zeit in Absicht auf geschmackvollen Luxus geleistet hat. Reiche Kunstsammlungen in Gemälden und Bildhauerarbeiten, prachtvolle Bibliotheken waren in Verbindung mit den Prunksälen seines Hofes, und die geistreichste Unterhaltung hielt gleichen Schritt mit den ausgesuchtesten Genüssen der verfeinertsten Sinnlichkeit. Dieser Sinn für eine geschmackvolle Pracht war nach Verhältnis in die Häuser fast aller Großen in Petersburg und Moskau eingedrungen.

Der körperlichen, geistigen und Geschmacksbildung des edlen Kaisers setzte seine Herzensbildung die Krone auf, sie erst gab seiner äußern Erscheinung die sittliche Würde, seiner geistigen Kraft die edle, die wohltuende, menschenfreundliche Richtung. In Beziehung auf die sittliche Würde des Charakters sind wenig Fürsten der alten und neuern Zeit mit ihm in Vergleichung zu stellen. Wohlwollen war die Grundlage seines edlen Charakters und auf ihn lassen sich die Worte des jüngern Plinius in seiner Lobrede auf Trajan anwenden:

„Geliebt sich sehen ist des Lebens höchstes Entzücken, aber selbst lieben ist es nicht minder.“

In seinem öffentlichen, wie in seinem Privatleben waren die menschenfreundlichen Empfindungen die herrschenden Gebilde seines edlen Herzens. Dies Wohlwollen floss über in die Instruktionen, welche er seinen Statthaltern erteilte, denn er wollte überall beglücken, den Geist des reinen Wohlwollens selbst in den entferntesten Gegenden seines großen Reichs verbreiten. In der Instruktion, welche der Fürst Zizianow erhielt, befiehlt der wohlwollende, edle Selbstherrscher, mit Sanftmut die Missbräuche in Grusien abzustellen, eine feste Gerechtigkeitspflege einzuführen, alle Parteien und innerlichen Unruhen zu dämpfen, alles Vergangene der Vergessenheit zu übergeben, dem Lande von außen Sicherheit zu verschaffen, um Handel und Industrie zu beleben, die freundschaftlichen Verbindungen mit den persischen Chans wieder anzuknüpfen, den Armeniern, welche den größten Teil des Handels inne haben, besondern Schutz gegen Unterdrückungen zu gewähren; zu untersuchen, ob die Räubereien der Berghorden vielleicht teilweise russischerseits durch ähnliche Missbräuche veranlasst sind; zu versuchen, ob es nicht möglich sei, den wilden Völkern des Kaukasus durch guten Umgang und Uneigennützigkeit Zutrauen einzuflößen und sie mehr zu kultivieren. Die Geschichte wird es nicht vergessen, mit welcher Milde von ihm die Polen behandelt wurden, wie er durch Großmut ihre Herzen gewann, alle billigen Wünsche derselben ber?cksichtigte. Dieselbe Mäßigung bewies er in Frankreich. Nicht leicht ist wohl eine besiegte Nation von ihrem Besieger so schonend behandelt worden, als die französische von Alexander. Als er dem französischen Senate am 2ten April 1814 Audienz gab, sprach er:
„Ein Mann, der sich meinen Alliierten nannte, kam als ungerechter Angreifer in meine Staaten. Er ist es, gegen den ich Krieg führe, und nicht gegen Frankreich. Ich bin der Freund des französischen Volks. Was ihr so eben gethan , habt, verdoppelt dieses Gefühl. Es ist, gerecht, es ist weise, Frankreich feste und liberale Einrichtungen zu geben, welche mit der jetzigen Aufklärung im Verhältnisse stehen. Meine Alliierten und ich, wir kommen, um die Freiheit eurer Entschließungen zu schützen. Zum Beweise dieser dauernden Allianz, welche ich mit eurer Nation abschließen will, gebe ich alle in Russland befindlichen französischen Gefangenen frei.“ Diese Mäßigung erinnert fast unwillkürlich an den mazedonischen Alexander, welcher mit schonungsloser Härte Theben, Tyrus und Persepolis zerstörte, während der russische Alexander durch Großmut gegen den besiegten Feind einen unsterblichen Ruhm erwarb. Diese Milde war bei Alexander vereint mit ruhmvoller Festigkeit, mit edler Charakterstärke, mit Selbstständigkeit. Er war im eigentlichen Sinne des Worts ein Selbstherrscher, denn er ließ sich nicht charakterlos durch Günstlinge leiten; überall suchte er selbst die Verhältnisse richtig zu durchschauen, nach eigenem Urteil sich zu bestimmen. Mit dieser Charakterfestigkeit vereinigte sich ein hoher Grad von Tätigkeit. Welche Reisen im Innern seines großen Reichs hat er während seiner Regierung in den verschiedensten Richtungen gemacht, um mit eigenen Augen zu sehen! Die vielumfassende, tief in alle Verhältnisse eingreifende Tätigkeit war bei ihm vereinigt mit ruhiger Besonnenheit, welche nichts übereilt, alles zur rechten Zeit tut und nicht Blüte und Frucht zu gleicher Zeit erwartet. Ein hervorstechender schöner Zug im Charakter Alexanders war seine Dankbarkeit. Als im Jahr 1818 sein ehemaliger Oberhofmeister, der Graf Nikolaus Soltikow, starb, folgte er der Leiche desselben mit entblößtem Haupte. In Paris suchte er die Witwe seines ehemaligen Lehrers Laharpe auf, um seinem Dankbarkeitsgefühle zu genügen. Seine Dankbarkeit gegen Kutusow drückte sich mit sinnigem Zartgefühl aus. Als er den greisen Feldmarschall zum Fürsten von Smolensk erhob, ließ er ein kostbares Juwel aus der Krone brechen und übersendete es dem ehrwürdigen Feldherrn. An die Stelle dieses Juwels wurde eine kleine Silberplatte mit dem Namen Kutusow in die Kaiserkrone gefügt, um auf ewige Zeiten die Verdienste des großen Feldherrn in Erinnerung zu bringen. Einem so edlen Gemüte konnte der Sinn für Freundschaft nicht fehlen. Die Freundschaft Alexanders und Friedrich Wilhelms war eine herzliche, der Menschheit heilbringende Freundschaft. Nachdem der Arm des Schicksals sie gewaltsam für eine kurze Zeit getrennt hatte, war die Wiedervereinigung ihren Herzen um so wohltuender. Durch diese Wiedervereinigung hat das Dorf Spohlitz bei Oels in Schlesien eine geschichtliche Wichtigkeit erhalten. Das Andenken der Stunde erhält eine Inschrift an der Tür des Hauses, wo Friedrich Wilhelm seinen hochherzigen Freund erwartete. Der edle Franz von Österreich wurde der Dritte in diesem schönen Freundschaftsbunde, welcher das europäische Staatensystem wiederhergestellt, den Geist des militärischen Despotismus niedergekämpft hat.