Frühling Liebster. Friedrich Rückert

Ich saß an meinem Rädchen,
Spann weiße Witwenfädchen,
Da mich mein Freund verlassen hat.
Da klopft’ es an mein Lädchen:
Geschwind, heraus, du Mädchen,
Geschwind! dein Ungetreuer naht.

Tu weg die Witwenschleier,
Und zeige dich in Feier,
Verbirg, dass du dich hast gehärmt. —
Er kam, und sprach, da sei er!
Ich sprach: Mein schöner Freier,
Wo bist derweil herumgeschwärmt?


Da schüttelt’ er’s Gefieder,
Und streut’ auf Brust und Mieder
Mir Duft und Blumen ohne Harm,
Fing an und sang mir Lieder,
Ich kam zu Wort nicht wieder,
Bis er mich kosend hatt’ im Arm.
2.
Ich hatte mich entschlossen
Nicht mehr für dich zu glühn,
Nicht mehr der Treue Sprossen,
O Falscher! dir zu ziehn.

Doch ach! da kamst du wieder,
Wo ich im Schlafe lag.
Durch meine Augenlider
Drang deiner Schönheit Tag.

Du hast durch deine Küsse
Mir Gift in’s Herz geflößt,
Das hat mir die Entschlüsse
In Sehnsucht aufgelöst.
3.
Wie schmückt mein scheidender Freund sich schön
Mit bunten Blumensternen!
Dort blickt er her von jenen Höhn,
Dann zieht er in die Fernen.
Ich glaubt’ ihn mein, wie ich war sein;
Nun will er nicht mehr bei mir sein,
Wie werd’ ich’s fassen lernen?
4.
Du bist gemacht zu wandern
Und ich gemacht zu ruhn.
Du gehest nun zu andern,
Was soll ich Arme tun?
Ich kann von dir nur träumen;
O kehr’ aus fernen Räumen
So schön mir, wie du scheidest nun!
5.
So schön und unbeständig,
So hold ist und unbändig
Mein Liebster, und ergeben
Bin ich ihm bis in Tod.
Wenn er mir wäre treuer,
Wär’ er mir minder teuer;
So teuer ist das Leben,
Das stets zu fliehen droht.

Ich muss ihn fest umknüpfen
Mit Armen, dass entschlüpfen
Er mir nicht mög’ im Schlummer,
O reizende Gefahr!
Aus seinem Aug’ und Munde
Muss ich in einer Stunde
Lust saugen, um den Kummer
Zu würzen auf ein Jahr.
6.
Als mein Liebster zu mir kam,
Lag ich still verhüllt in Gram;
Und er half mit seiner Hand
Schmücken mir mein Brautgewand.

Als in vollem Schmuck ich stand,
Griff er nach dem Wanderstab,
Und es fielen vom Gewand
Mir die welken Blumen ab.

Friedrich Rückert (1788-1866) deutscher Dichter, Übersetzer, Lehrer, Gelehrter für Begründer der deutschen Orientalistik
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Album deutscher Dichter
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