REMBRANDT VAN RIJN, Landschaft mit Ruine

REMBRANDT VAN RIJN
(1606 — 1669)
Landschaft mit Ruine
Eichenholz: h. 0,66, br. 0,86 m

Der Maler der Bildnisse und der biblischen Geschichten entwickelt sich in dem zweiten Abschnitt seines Amsterdamer Aufenthalts — etwa seit Saskias Tode 1642 — zu einem bedeutenden Landschafter, der die meisten Spezialisten des Faches hinter sich lässt. In zahlreichen Zeichnungen sammelt er die Eindrücke der ihn umgebenden Natur; da ist alles beobachtet und oft das Kleinste liebevoll wiedergegeben. Auch seine Landschaftsradierungen (26 bis 28 echte, aus den Jahren 1641 bis 1651 datiert) haben diesen Wirklichkeitscharakter: eine große Naturtreue, die schlichte Auffassung des Heimatlandes ohne alle italienische Verschönerung. Man darf ohne Übertreibung sagen: Rembrandt beherrscht hier alles Detail und mit wenigen Strichen weiß er uns das ganz Unscheinbare so lebendig zu machen, dass wir es unmittelbar vor uns zu haben meinen. Das ändert sich, sobald er mit Farben malt. Alsdann wird alles Einzelne nicht mehr nach der Natur gegeben, sondern stark abgekürzt, manches sogar beinahe nur umgesetzt in Linien und Zeichen. Die Komposition wird kunstvoll und großzügig, der Maler wird zum Dichter, zunächst im Sammeln und Ordnen des Stoffes, sodann in der Verteilung des Lichts, über das er frei gebietet und auf dessen Wirkung ihm alles ankommt. Dem muss sich die Farbe unterordnen, die gebrochen und auf Haupttöne gestimmt, an den einzelnen Gegenständen gar nicht naturwahr sein will; Rembrandt wusste so gut wie wir, dass eine Landschaft in Wirklichkeit bei keiner Beleuchtung so braun sein kann, wie diese hier. Den ersten Eindruck gibt der großartige, wirklich architektonische Aufbau in mehreren Plänen, mit einem Plateau ganz oben, das nach links abfällt. Den zweiten das Licht, das ansehnliche Flächen einnimmt: die ganze Bildmitte bis in den Vordergrund liegt im Sonnenschein, und hinter dem Höhenzuge unter der dunkeln Wolke des abziehenden Gewitters steht der helle Himmel. Nun erst machen sich die einzelnen Gegenstände auf ihren verschiedenen Plänen uns bemerklich. Ganz unten in einem Dorf liegt eine Windmühle, davor ein Fluss mit Schiffen, Schwänen, einem Angler. Wohin will der rote Reiter, der links zum Bilde hinausreitet? Im Mittelgrunde sehen wir eine verfallene Brücke, die über den Fluss führt, und weiter oben am Berge eine Wassermühle mit einer angestauten Wasserfläche. Das alles ist holländisch, wenn wir es auch so eng zusammengestellt in der Wirklichkeit nicht antreffen könnten. Aber nun baut die Künstlerphantasie weiter aufwärts einzelne Häuser und altes Gemäuer auf und ganz oben eine verfallene Stadt mit einer römischen Tempelruine und spitzen Zypressen, die scharf in den hellen Himmel einschneiden. Das erinnert uns an den Blick auf den Palatin in Rom. So etwas kannte Rembrandt natürlich aus Kupferstichen und aus den Bildern seiner in Italien gewesenen Genossen, und er komponiert hier mit diesen Bestandteilen ebenso wie anderwärts. Auf einer diesem Gemälde ungefähr gleichzeitigen Radierung eines „heiligen Hieronymus in der Berglandschaft“ (B. 104) finden wir z. B. Baulichkeiten mit Erinnerungen an Tizian und Giorgione. Seine Gedanken suchen ein großes und vielgestaltiges, von Spuren der historischen Vergangenheit durchzogenes Ortsbild, und dann entfernt er sich von der wirklichen Natur, soweit er will. Die große Kasseler Landschaft, die beste in einer deutschen Sammlung, nicht datiert, muss um 1650 gemalt worden sein; sie kommt schon in dem ältesten Inventar (des Stifters Wilhelms VIII.) von 1749 vor. A. P.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Album der Kasseler Galerie