PETER PAUL RUBENS, Die Flucht nach Ägypten

PETER PAUL RUBENS
(1577 — 1640)
Die Flucht nach Ägypten
Eichenholz: h. 0,40, br. 0,53 m

Denon, der Vertrauensmann Napoleons bei Ausplünderung der Hauptkunstsammlungen Europas, hatte mit der ihm eigenen, feinen Spürnase neben vielen anderen trefflichen Gemälden auch das hier in Frage stehende aus der Kasseler Galerie 1806 nach Paris verbringen lassen. Seltsamerweise aber verließ ihn später sein ursprünglicher guter Blick, indem er in dem Inventar des Kaiserreiches dieses ausgezeichnete Original von Rubens unter der Bezeichnung „pasticcio de Dietrich“ dem zwar routinierten, aber flachen Nachäffer berühmter Meister, Christian Wilhelm Ernst Dietrich, gen. Dietricy, zuschrieb. Das hat indes diesem Juwel von der Hand des großen Vlamen nicht geschadet, denn nie wird irgend ein Auge mit gesundem Blick diesem Irrtum Denons gefolgt sein oder folgen, Rubens selbst scheint große Stücke von diesem kleinen Meisterwerk gehalten zu haben, denn es gehört zu den wenigen seiner Werke, die er mit dem vollen Namen und dem Datum (1614) bezeichnet hat. Und dennoch ist die ursprüngliche Erfindung der Komposition nicht des Meisters selbsteigene, sondern er hat sie von dem Frankfurter Maler Adam Elsheimer (1578 — 1620, Frankfurt, Rom) entlehnt und nur in seiner Weise umgeschaffen. Aber so großzügig wie etwa ein Beethoven ein Motiv von Joseph Haydn transponiert hätte. Das Vorbild von der Hand Elsheimers befindet sich im Louvre und enthält außer der eigentlichen Flucht nach Ägypten, wie sie in unserm Bilde vorliegt, links noch einen Blick in den Wald, in welchem Hirten mit ihren Herden um ein Feuer lagern. Ob Rubens das für ihn ganz ungewöhnlich kleine Format auf Bestellung genommen, oder freiwillig gewählt, ist unbekannt. Jedenfalls beengte es ihn einigermaßen, was z. B. aus dem Ausmaß der unverhältnismäßig großen Hand Marias ersichtlich ist. Unwillkürlich sprengte er die Fesseln des Elsheimerschen Duodezformates und gab ihr die Hand einer Riesin, desgleichen im Überdrang seiner ins Große strebenden Natur dem das Saumtier lenkenden Engel einen übergroßen Kopf. Doch diese kleinen Fehler verschwinden völlig gegenüber der Fülle malerischer Schönheiten, womit er dieses Juwel seiner Kunst ausgestattet hat. Wie in einen dunkeln und dennoch leuchtenden Ring gefasst erscheint links im Vordergründe des nächtlichen Waldes die in ungebrochenem Rot, Blau und Gelb schimmernde Gruppe der Flüchtenden. Die Leuchte, die ihnen den Pfad erhellt und sie selbst umflutet, geht vom Kinde, dem Lichte der Welt, aus, eine Symbolik, die Rubens zugleich ein willkommenes malerisches Motiv darbietet. Besonders bemerkenswert in zeichnerischer Hinsicht ist in dem Bilde vielleicht noch der in kühnster Verkürzung, die an Correggios „Froschragout“ erinnert, in der Luft schwebende Engel, eine heitere crux aller Kopierenden. O. E.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Album der Kasseler Galerie