PAOLO VERONESE (?) oder LAMBARD SUSTRIS, Die sterbende Kleopatra

PAOLO VERONESE (?) oder LAMBARD SUSTRIS
Die sterbende Kleopatra
Leinwand: 1,25; br. 1,09

Früher galt diese Kleopatra als Werk, des Tizian, doch schrieben die berühmten Geschichtsschreiber der italienischen Malerei, Crowe und Cavalcaselle, es später dem Cesare Vecelli zu, was indes unverständlich ist, da man keine Leistung dieses mäßig begabten Verwandten Tizians kennt, die sich entfernt mit der vorliegenden messen könnte. Weit näher ist Wilhelm Bode offenbar der Wahrheit gekommen, als er dieses schöne Werk dem Paolo Veronese zuschrieb, allein ganz zweifellos und unanfechtbar erscheint auch diese Attribution nicht. Wir werden uns, wie bei manchem anderen rätselhaften Bild, so auch bei diesem bescheiden müssen, die ungefähre Richtung anzugeben, in der sein Ursprung zu suchen ist. Das Fesselndste an ihm ist der wundervoll verkürzte, edle Kopf, über dem die sanft beglückende Ruhe des Schlummers zu liegen scheint. Aber ist das einer Kleopatra angemessen, die entweder noch im Kampfe mit dem Gift der Schlange liegt oder durch den Biss schon vom Tode umnachtet ist? Im gewöhnlichen Verstande nicht, denn man erwartet in diesem Falle schmerzvolle, vom Todeskampf entstellte Züge, und weil diese in dem Bilde fehlen, hat in vergangenen Tagen eine unberufene Hand die Schlange zu eliminieren und aus der Dargestellten eine in Schlaf verfallene, verlassene Ariadne auf Naxos zu machen gesucht. Da die vertiefte Spur der Schlange aber beim besten Willen nicht ganz zu beseitigen war und zum Verräter wurde, so musste es eben schließlich bei dem angeschlagenen Thema „Kleopatra“ sein Bewenden haben. Und weshalb soll der Künstler sich nicht erlauben dürfen, den sonst grimmen und gefürchteten Tod in dieser versöhnenden Weise aufzufassen? Stellt ihn doch schon die Antike als Bruder des Schlafes dar. Und so sehen wir die unglückliche ägyptische Königin vor uns, nicht als ein Opfer körperlicher und seelischer Leiden, wie es nach ihrem Schicksal zu erwarten wäre, sondern als ein Bild inneren Friedens und ausgeglichener Schmerzensüberwindung, dessen ergreifende Schönheit in dem oben schon charakterisierten Kopfe gipfelt. Harmonisch schließt sich diesem durchgeistigtsten Teile des Bildes in malerischer Hinsicht die entblößte Brust der schönen Schläferin an. Ob der Maler wohlgetan, auch ihren etwas stark entwickelten Leib und die dicken Arme unbekleidet zu zeigen, möge dahingestellt bleiben. Sie sind allerdings durch eine unglückliche Restauration noch unförmlicher geworden, als sie ursprünglich waren, aber die Tatsache, dass diese Teile des sonst in Auffassung und koloristischer Durchführung so noblen Gemäldes etwas weniger befriedigend ausgefallen sind, als die oberen Partien, mag in dem Umstand seine Erklärung finden, dass sich vermutlich der Künstler etwas zu streng an ein Modell gehalten hat, das im Kopf noch jung geblieben, im Körper aber schon etwas matronenhaft geworden war. O. E.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Album der Kasseler Galerie