ANTONIS MOR, Bildnis des Johann Gallus

ANTONIS MOR (auch ANTONIO MORO)
(1512[?] — 1576/78)
Männliches Bildnis
Eichenholz: h. 0,85, br. 0,58 m

Auf den ersten Blick hat dies Bildnis etwas Eckiges und Steifes, was vielleicht ganz an der dargestellten Person liegen mag, in unserer Vorstellung aber unwillkürlich auf den Künstler weiterwirkt und ihm als Mangel angerechnet wird, als Abstand von der vollen Höhe der Porträtkunst. Bei näherer Betrachtung nehmen wir wahr, dass das sammetbesetzte Atlasgewand mit den rot unterlegten Ärmelschlitzen nicht bloß mit äußerster Sorgfalt, sondern geradezu wundervoll gemalt, dass die rechte Hand sehr schön ist, und dass Bart und Haar nicht bloß den Fleiß des Miniaturisten, sondern auch noch eine bis ins kleinste gehende Naturwahrheit zeigen, und nun gewinnt auch der ernste und gesunde Kopf, dessen bräunliche Fleischfarbe sich gegen den schmalen weißen Rand der Halskrause kräftig absetzt, unsere Teilnahme, und wir werden es wohl glauben, dass Antonis Mor aus Utrecht, der jedoch zuletzt in Antwerpen lebte, der erste Porträtmaler seiner Zeit, das heißt des Menschenalters nach 1550, gewesen ist, und zwar nicht bloß für die Niederlande, sondern für den Norden überhaupt. Dürer und Holbein waren tot, in Italien lebte noch Tizian, mit dem man ihn sogar verglichen hat, in Deutschland Lukas Cranach der jüngere, über den wir hier kein Wort zu verlieren brauchen. Die großen Porträtisten der Zukunft, Frans Hals und Rembrandt, waren, als Mor starb, noch nicht geboren. So wurde er denn der Hofmaler Karls V., der ihn auch nach Lissabon und London schickte; ins Madrid und England finden sich noch die meisten Werke von ihm. Er war auch in Italien gewesen, hatte 1550 in Rom studiert, wie dreißig Jahre früher sein Lehrer Jan van Scorel († 1562), der seit dieser Zeit in seinen religiösen Historien und Einzelfiguren sich möglichst italienisch auszudrücken bemühte, während in seinen Porträts auch später noch die heimische Art durchschlägt. Ein Unterschied in den Gattungen, der sich auch sonst bei den Niederländern findet, z. B. bei Frans de Vriendt (Floris) aus Antwerpen, der ungefähr ein Altersgenosse von Mor ist. Er selbst war wesentlich Bildnismaler und gewann durch seinen italienischen Aufenthalt wohl an Höhe der Auffassung, ohne doch in Manier zu fallen; seine Porträts sind echt im Charakter, streng und ernst. So waren diese meist nordischen Menschen, gemessen und zurückhaltend nach dem Schicklichkeitsgefühl ihrer Zeit, und das spanische Zeremoniell, das damals in Europa galt, verlangte den Ernst sogar noch kälter, etwas in das Finstere und Gefühllose abgestimmt. So steht z. B. der Herzog Alba von ihm im Brüsseler Museum vor uns. Tizian hatte gewöhnlich andere Menschen zu malen und war der große Maler schlechthin und der geborene Kolorist. Mors Gesichtskreis ist enger, sein Feld beschränkt, und als Übergangsmeister wird er in den Schatten gestellt von Vorgängern und Nachfolgern. Auch darin erscheint er einseitig, dass er keine Gruppenbilder malt, wie bald nach ihm der Delfter Mierevelt, Ravesteyn aus dem Haag und Comelis de Vos aus Antwerpen, aber in seiner Beschränkung auf das Einzelporträt hat er als selbständiger Meister den Aufgaben seiner Zeit genügt, und unter diesen historischen Voraussetzungen werden wir sein Kasseler Bildnis sogar individuell und interessant finden. Es ist bezeichnet und datiert (1559), aber wir wissen nicht, wen es darstellt; eine lateinische Inschrift auf dem Rahmen, die den Namen Johann Gallus angibt, ist wahrscheinlich gefälscht. Dazu gehört als Gegenstück ein weibliches Bildnis von angenehmem Gesichtsausdruck, mit einem Bologneser Hündchen auf dem rechten Arm. A. P.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Album der Kasseler Galerie