ANTONIS MOR, Bildnis Wilhelms I. von Oranien-Nassau

ANTONIS MOR (auch ANTONIO MORO) (1512 [?]— 1576/78)
Bildnis Wilhelms I. von Oranien-Nassau
Eichenholz; h. 1,04, br. 0,81 m



Dies durch Malerei wie geistigen Ausdruck gleich ausgezeichnete und ungewöhnlich fesselnde Bildnis des großen Stammvaters der oranischen Dynastie gelangte zu seinem jetzigen hohen Ansehen erst durch die glückliche Reinigung, die es 1833 durch Professor Hauser jun. erfuhr. Vorher war es wenig beachtet, schon wegen des trüben, erstorbenen Firnisses, der es bedeckte, und weil man den Dargestellten nicht kannte. Nach Beseitigung des Firnisses kam aber eine übermalte Inschrift zutage, die den Dargestellten als „Wilhelm Prinz von Oranien“ auswies, während er vorher nur allgemein als „Porträt eines Prinzen von Oranien“ angegeben und dem Frans Pourbus zugeschrieben war. In der Folge war es Frans Floris und zuletzt Adriaen Key benannt worden, beides unhaltbar, denn es trägt offenkundig den Stempel des Antonis Mor. Das von jeher demselben Meister zugeschriebene Bildnis des Herzogs von Alba im Museum zu Brüssel sieht genau wie ein Gegenstück zu dem jungen Oranier hier aus. „Wilhelmus von Nassaue“ genannt „Taciturnus“, mag kaum 26 — 28 Jahre alt gewesen sein, als er Moro zu diesem Bilde saß, aber er sieht schon so in sich gefestigt, fertig und selbstbewusst aus, dass man ihn für älter halten möchte. Es ist das einzige Jugendbildnis, überhaupt die beste Wiedergabe seiner körperlichen Erscheinung, die nach dem Leben gemalt existiert. Alle anderen Porträts stellen ihn alt und müde dar. Auch sind die wenigsten davon nach dem Leben gemalt. Hier aber steht er vor uns, eine künstlerische Offenbarung von frappanter Schärfe, von Moro mit intuitivem Blick in das Innerste des Dargestellten erfasst. So hat das geistvolle, durchdringende Auge des beredten Schweigers geblickt, so waren die fein geschnittenen Lippen geschlossen, so wölbte sich seine edle, gedankenvolle Stirn mit dem kräftigen, energisch aufwärts strebenden Haar. Dies Bildnis hat etwas geradezu Faszinierendes an sich, es gibt diesen seltenen Menschen, der der Geschichte Hollands seine Signatur aufgeprägt hat, fraglos wieder, wie er leibte und lebte. „Wer es einmal gesehen, kommt nicht wieder davon los. So hat es auch unseren Kaiser, dessen Blut mit dem oranischen vermischt ist, ergriffen, er betrachtet es sich jedesmal, wenn er die Kasseler Galerie besucht, mit besonderem Ernst, hat es auch schon zweimal kopieren lassen. Und ein maßgebender Gemäldekenner, Direktor einer berühmten holländischen Galerie, wollte diesen größten Fürsten der Niederlande für sein Vaterland gewinnen, indem er sich erbot, dies sein Bildnis — zwar nicht mit Gold, aber mit Bildern von Rembrandt aufwiegen zu wollen, was doch gewiss der höchste Schwur im Munde eines Holländers ist. O. E.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Album der Kasseler Galerie