RAFFAEL, Die Sixtinische Madonna

Die Nachbildung eines Werkes, das in jedem Betrachter die stärksten Eindrücke zurücklässt, hat hohen Erwartungen zu begegnen. Die Sixtinische Madonna sollte in unserem Album nicht fehlen. Diese Reproduktion kann wenigstens einen Begriff von der Wirkung des Originals geben und möchte nicht auf eine Linie gestellt werden mit den vielen anderen farbigen Abbildungen kleinen Formats. — Nach Vasari, der das Bild kurz beschreibt, malte es Raffael für den Hauptaltar der Benediktinerkirche S. Sisto in Piacenza, deren Titelheiliger, der Märtyrerpapst Sixtus II., deswegen darauf anzubringen war. Er empfiehlt an Stelle eines Stifters der Muttergottes die unten außerhalb des Bildes zu denkende Gemeinde, auf die ihm gegenüber die heilige Barbara freundlich lächelnd (ihr Gesicht ist nicht gut erhalten) niedersieht. Von demselben Altar nahm das Bild erst 1753 der bolognesische Maler Giovanni, durch dessen Vermittelung es dann für 20.000 Dukaten an August III. verkauft wurde. Es hat den großen Stil der Raffaelschen Tapeten und ist bald nach 1515 auf Leinwandgrund, den der Künstler um diese Zeit anstatt der sonst üblichen Holztafel mehrfach benutzt hat, in allen wesentlichen Dingen von ihm eigenhändig gemalt, unter den Altartafeln größeren Umfanges, die wir von ihm besitzen, die vollkommenste. Vasari gibt keine Datierung. Weiter gegen Ende seines Lebens hätte Raffael einem einzelnen Bilde nicht mehr diese Sorgfalt widmen können. Alles in dieser Überlieferung fügt sich so wohl ineinander, dass wir uns mit den Zweifeln der Überklugen, die es ja immer geben muss, nicht weiter aufzuhalten brauchen. — Die Madonna schwebt nicht eigentlich, sie schreitet vielmehr und kommt, wie man an den Bewegungen der Gewänder sehen kann, aus der Tiefe des Raumes von rechts nach links und, so müssen wir denken, in dem Augenblick gegangen, wo eben erst der Vorhang seitwärts zurückgezogen worden ist. Sie hat im Gesicht einige Ähnlichkeit mit der Donna Velata des Palazzo Pitti, deren Züge Raffael auch der Magdalena seiner Vision der heiligen Cäcilia in Bologna gab, und außerdem noch besonders weitgestellte Augen. So auch das Kind, das dadurch, ohne die segnende Gebärde und sogar mit einer weltlich lässigen Haltung, etwas Hohes und Überirdisches bekommen hat. Nach unten ist die himmlische Vision durch eine Brüstung abgeschlossen. Gespannt geben die zwei Engelknaben auf alles acht, was sich da oben zuträgt, im Gegensatz zu dem Pathos der Hauptfiguren ein liebliches kleines Genrebild für sich und zugleich ein feines Mittel der Kunst, den Blick des Betrachtenden aufwärts zu lenken. Im Bewundern des Malerischen findet die Betrachtung kein Ende. Der Vortrag ist kräftig, wo es passt, in den Gewändern und in den Bewegungen der Gliedmassen, z. B. den Händen des Papstes, dann aber wieder leicht und dünn und zart, wo das Durchgeistigte der Erscheinung technisch auszudrücken war. Das Höchste hierin von Vollendung und ein wahres Wunder von Kunst ist die duftige Glorie der über die Wolken hingehauchten Engelköpfe.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Album der Dresdner Galerie