ALBRECHT DÜRER, Christus am Kreuz

Dieses köstliche, ganz kleine Werk aus der Zeit der ersten Meisterschaft Dürers ist auf eine Holztafel gemalt, die nur wenige Quadratzentimeter mehr hat als unsere Abbildung. Es ist mit seinem Monogramm und der Jahrzahl 1506 bezeichnet, also während seines zweiten, beinahe zweijährigen Aufenthalts in Venedig entstanden. Es wurde für die Dresdner Galerie 1865 in Wien erworben und befand sich dort früher einmal in der Sammlung S. von Festetits; es wäre hübsch, wenn man feststellen könnte, wann es Italien verlassen hat.

Niemals hat Dürer einen leidvollen Gegenstand mit so viel Schönheit umgeben, wie auf diesem mit der äußersten Feinheit ausgeführten Bildchen. Der sorgsam modellierte Körper mit dem leuchtenden Schmelz seines Farbenauftrags wird in Venedig Beifall gefunden haben, und dieser leicht beschattete, ausdrucksvolle Kopf mit dem geöffneten Munde geht zumal in diesem kleinsten Maßstabe über das Vermögen eines Italieners hinaus. Die Enden des Leinentuchs flattern im Winde vor dem dunkeln Wolkenvorhang, der sich auf die tiefblaue, einsame Flusslandschaft niedersenkt; wenn er den Lichtstreifen über dem Horizont verdeckt haben wird, der uns die zarten Frühlingsbäume noch in ihrer Tagesfarbe sehen lässt, wird es Nacht sein. Solche Bäume kommen auf frühen italienischen Bildern vor, an die uns auch der untere Abschluss dieser Tafel durch eine gerade Leiste erinnert. Zu beachten ist endlich noch der roh gelassene, naturalistisch ausgeführte Kreuzesstamm.


Wir wissen, dass Dürer sich in Venedig die Gunst des Altmeisters Giovanni Bellini gewann; dieser war ja nicht bloß Großmaler, sondern auch namentlich in seiner früheren Zeit ein feiner Miniaturist gleich dem nordischen Gast, der hier sichtlich in seinen Spuren gegangen ist. Noch deutlicher wird uns dieser Zusammenhang, wenn wir uns an einzelne kleine Bilder des in Venedig hoch gefeierten Antonello da Messina erinnern, der jetzt nicht mehr am Leben war. Ob aber gerade der junge Tizian zu Dürers Bewunderern gehörte, will uns nach dem zu seinem „Zinsgroschen“ (Nr. 3) Bemerkten zweifelhaft scheinen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Album der Dresdner Galerie
002. ALBRECHT DÜRER, Christus am Kreuz

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