Abschnitt 2

Die kolossale Statue ist von dem Bildhauer Genschow nach zwei Modellen, von denen das eine von ihm selbst, das andere von dem Bildhauer Willgohs, an Ort und Stelle aus Stuck gefertigt worden. Beide Künstler sind Mecklenburger. In den Zwickeln über dem Rundbogen steht rechts der Greif, der allgemeine Wappenschild der wendisch-werleschen Fürsten, links der Lindwurm, das Hauptwappen der Grafen von Schwerin.

Den Unterbau der Halle flankiren zwei starke Mauerpfeiler; jeder derselben enthält zwei Bildsäulen-Nischen übereinander. Die beiden oberen Standbilder (von Willgohs) stellen zwei Grafen von Schwerin dar. Dem Beschauer links steht in voller Rüstung der erste Graf Gunzelin I. (1166–1187). Als erster Erbauer der Burg nach deutscher Art durch das Bauwerk, das er im rechten Arme hält, bezeichnet, neigt er mit der linken Hand den Kreuzesstab vorwärts, ein Sinnbild der Einführung der christlichen Lehre und Gesittung, die sich zu Gunzelin's Zeit in Folge des Kreuzzuges des mächtigen Welfenherzogs über Mecklenburg verbreitete. Auf der andern Seite erblickt man seinen Sohn, den Grafen Heinrich I. (1187–1228). Das Kreuz auf dem Bruststück seines Harnischs zeigt seinen Zug nach dem Grabe des Erlösers an; die bedeckte Schale in der vorgestreckten Rechten erinnert an den heiligen Gral und soll anzeigen, dass Graf Heinrich von seinem Kreuzzuge das heilige Blut nach dem Dome in Schwerin zurückbrachte. Sein Schild trägt über dem Wappen den Namen Bornhövd (wo er am 22. Juli 1227 den Dänenkönig Waldemar schlug), und er stützt ihn mit der Linken auf den Leoparden, das Wappenzeichen der Dänischen Könige, auf dessen Nacken auch sein linker Fuss ruht. Die Goldinschrift unter diesem Paare lautet:


Das ist Herr Gunzelin der Grave von Zwerin, der gruendete das erste Schloss,

Dem Christengott ein Haus, Herr Heinrich fuehrt es aus, der war des Graven Gunzel Spross.

In den beiden unteren Nischen stellen sich die Bildsäulen zweier mecklenburgischer Herzöge (von Genschow) dar. Unter dem Grafen Gunzelin steht, ganz gerüstet, Herzog Albrecht II. (1329–1379), der die Grafschaft Schwerin wieder an das Land Mecklenburg brachte und die Eesidenz nach Schwerin verlegte, auf dem Haupte die von ihm erworbene Herzogskrone, in der Rechten das Schwert, mit dessen Schärfe er den Landfrieden beschützte, am linken Arme den Schild tragend. In der vollen Tournierrüstung des fünfzehnten Jahrhunderts steht rechts von dem Eintretenden Herzog Magnus II. (1477–1503). Er, der Wiedervereiniger der mecklenburgischen Linien, hält in der Linken eine Rolle, an welcher die fünf Wappenschilde für Mecklenburg, Rostock, Werle, Stargard und

Schwerin, die dieser Herzog zuerst im Siegel führte, – von einem Bande umschlungen werden, und weist mit der Rechten auf dieselbe hin. Von ihm, dem Repräsentanten der einheitlichen Monarchie, rühren die ältesten noch stehenden Mauern des Schweriner Schlosses her. Von beiden meldet die darunter befindliche Inschrift:

Herr Albrecht trug voll Muth den ersten Herzogshut,

Hat in dem Schlosse residiert

Gerecht und stark zugleich

Herrscht Magnus Friedenreich,

Hat Land und Schloss gut renoviert.



So entspricht dem reichen architektonischen Leben, das in dem ganzen Mittelbau herrscht die lebendige Fülle der historischen Beziehungen, welche von dieser Façade herab dem Eintretenden sagen, in was für ein Gebäude er tritt, und die Stimmung in ihm hervorrufen welche auf dem weiteren Gange durch das Schloss noch die mannichfaltigsten Anregungen erhält.

Die ganze westliche, dem Burgsee zugewendete Fronte hat 10 Fenster Breite und eine Längenausdehnung von 148 Fuss. Vermittelst zweier stark heraustretender Wandpfeiler, die von der Höhe der Gallerie an nach oben in zierliche, kupferbedachte Sandsteinthürmchen auslaufen, sondert sich der mittlere giebelgekrönte Theil von drei Fensterbreiten, über welchem auch das Schieferdach in der Richtung der Giebelseiten 40 Fuss hoch emporsteigt, von den beiden Seitentheilen; die letzteren schliessen mit dem vierten Stockwerke und der zierlichen Freigallerie, welche um den ganzen Neubau geht, ab, und ihr Dach erhebt sich in der Richtung der Tiefe des Gebäudes. In dem Giebelfelde ist in einer Scutelle die Büste des Herzogs Friedrich Wilhelm (1695–1713) aufgestellt. Der Herzog schaut nach der Stadt hin, die er vergrösserte. Zwischen den kleinen Sandsteinthürmen stehen zwei antike weibliche Statuen.

Nicht völlig so lang als die Burgseeseite ist die südliche oder Schlossgarten-Façade. Sie zählt neun Fenster und erstreckt sich auf 140 Fuss. Dieselbe Dreitheilung wie bei jener wird hier durch das Vorspringen des Raumes der mittleren drei Fenster um etwa sechs Fuss bewirkt. Auch erhebt sich dieser Mittelraum zu der Höhe von fünf Stockwerken. Jener Vorsprung stellt in dem inneren Raume die Msche des „goldenen Saales" dar, einer grossartig prachtvollen Räumlichkeit, in welcher der Eindruck der Fülle königlicher Pracht durch die Schönheit der Raumverhältnisse noch erhöht wird. Zu den grösseren Hoffestlichkeiten bestimmt, hält dieser Saal bei einer Länge von 100 Fuss in grösster Breite 57 in der durch zwei Stockwerke gehenden Höhe 52 Fuss. Unter jenem Mittelvorsprunge befindet sich, wiederum geräumig vortretend und einen Balcon mit zierlicher Balustrade tragend, die Ausfahrt, durch zwei stattliche Sandsteinstatuen geschmückt, einen Herold und einen Trompeter im Costüm des 16. Jahrhunderts, von dem Bildhauer Petters in Schwerin nach Modellen von dem Prof. Alb. Wolf in Berlin. Die Wände und die Decke der Ausfahrt sind mit einer Anzahl grosser Medaillons in Gyps (von dem Bildhauer Dankberg in Berlin) verziert; dieselben stellen theils in Einzelfiguren, theils in Gruppen diejenigen Gewerbe, Künste u. s. w. symbolisch dar, welche für Mecklenburg besondere Wichtigkeit haben. Die früher geradlinig abschliessende Fassade wurde nach der Idee des Geheimen Oberbauraths Stu1er mit einem Giebel versehen. Hoch aus der Scutelle des Giebelfeldes schaut die Büste des Herzogs Christian Ludwig (1747–1756) auf den Schlossgarten, die Anlage dieses Fürsten, herab; seitwärts unterhalb derselben stehen in zwei Touretten symbolische Figuren.

Die nordwestliche, dem Marstall gegenüber liegende Schlossseite, zwischen dem grossen Glockenthurme (d. h. dem nördlichen Eckthurme an der Einfahrt) und dem 163 Fuss hohen, vergoldeten Thürmchen für die kleine Kirchenglocke, nach der Stadt und Seeseite von dem Eingange in den lieblichen Burggarten begrenzt, macht den Uebergang von dem Neubau zu dem erhaltenen und renovirten Bau. Von den drei Giebelhäusern, in welche die ganze Längenausdehnung von 165 Fuss zerfällt, setzen die beiden eingiebeligen, dem Eckthurme zunächst liegenden noch die Façade und die Gesimshöhe des Neubaues fort; aber in der ungleichen Formation und Höhe der Giebel und der Bedachung tritt schon der Uebergang von dem einheitlichen Styl des Neubaues der Süd- und Westseite zu einer mannichfaltigen historischen Gliederung hervor. In dieser steht schon der dritte Theil dieser Seite, das 20–30 Fuss niedrigere Schlosskirchenhaus mit drei Giebeln der älteren Form, von welchem der mittlere höher und breiter ist als die beiden anderen; vor einer Seite der Fronte steht das sechseckige Glockenthurmhaus, dessen metallenes Dach (wie auch das des mehrerwähnten mit Vergoldung geschmückten Thürmchens) von der Rundform sechsseitig zur Spitze ausläuft. Vor diesem Theil erstreckt sich stadtwärts ein durch die Bastion, abgegrenzter Gartenraum, auf welchem ein aus alter Zeit erhaltener kleiner Pavillon steht. Diese drei Gebäudetheile, von denen der mittlere in der Scutelle seines Giebels die Büste des Herzogs Carl Leopold (1713–1747), darunter in freien Feldern zwei sinnbildliche Statuen trägt, haben eine Tiefe von 57 Fuss. Wie die oberen Räume schon dem Herzog Johann Albrecht zur Wohnung dienten, so enthalten sie auch jetzt die Wohngemächer der Grossherzoglichen Familie, welche sich nach der Seeseite fortsetzen.