Abschnitt 1

Wenn schon das alte Schweriner Schloss, im Laufe der Jahrhunderte erbaut und daher ohne einheitlichen Kunstcharakter, welchen ihm die nicht ausgeführte Restauration des Herzogs Johann Adolph verleihen sollte, dennoch durch seine bezaubernde Lage vor schöneren und stattlicheren Architekturen einen viel beneideten Vorzug behauptete: wie unendlich wird noch durch diesen natürlichen Reiz die Kunstschönheit des großartigen Prachtbaues erhöht, der auf der Stätte der alten Niklotsburg jetzt sich erhebt und von dem edlen Kunstsinne des Grossherzogs Friedrich Franz II. wie zugleich von der tiefen Pietät, mit welcher er die Ehre des eigenen Namens hinter der Erhaltung und Vollendung des Werkes grosser Ahnen, den Ruhm selbstgewählten Schaffens hinter der Wiedererweckung des Sinnes und Strebens schöpferischer Zeiten zurückgestellt, noch vor den späten Enkeln ein wahres Zeugnis ablegen wird. –

Die Schönheit der Umgebungen Schwerins ist bekannt. Innerhalb dieses reizenden Umkreises gibt es keinen Punkt, von welchem aus sich die Fülle und der Wechsel lieblicher Aussichten mit freierem Umblicke nach allen Richtungen erfassen liesse, als das Grossherzogliche Schloss. Von jedem Zimmer des Schlosses und in den ausgebauten Zimmern und Turmgemächern von jedem einzelnen Fenster aus, vorzugsweise aber in dem östlichen und nordöstlichen Teile, wo auch die Wohngemächer der Großherrzoglichen Familie gelegen sind, bietet sich dem überraschten Auge ein wie künstlerisch abgegrenztes Landschaftsbild. In dem mannigfaltigsten Wechsel schliesst sich an die unaussprechlich lieblichen Ufergegenden des Schweriner See's, die mit ihrem tiefen Waldesgrün das Auge erquicken, hier der bewaldete Schelfwerder, die Neustadt, Sachsenberg, dort das hohe Ufer des Zippendorfer Weges, die Ausbuchtung des Kalkwerders, das freundliche Greenhouse-Palais, während auf den anderen Seiten der Schlossgarten und die Stadt, in Vogelperspektive mit planähnlicher Deutlichkeit ausgebreitet, sich in gleich klare und welchselvolle Bilder abgrenzen, eingeschlossen von einem unbegrenzten Hintergrunde mit Dörfern, Landgütern, Wäldern und Seen. Durch die panoramenartigen Durchsichten in dem obersten Rundgemache des Hauptturms kann das Auge in schnellem Wechsel diese Folge anmutiger Bilder überschauen, die sich in den niedrigeren Wohngemächern auf den ganzen Umkreis des Gebäudes verteilen.
      Das Schweriner Schloss ist im Geiste des französischen Renaissance-Styls, mit Beibehaltung der Teile, welche im norddeutschen Renaissance-Styl erbaut waren, aufgeführt. Es ist vielfach gesagt und nachgesprochen, das Schloss in Schwerin sei eine Nachahmung des Schlosses Chambord in Frankreich. Bereits im ersten Hefte (S. 4) ist darauf hingewiesen worden, in wie beschränktem Sinne hier überall eine Vorbildlichkeit anzunehmen ist, und auch in diesem beschränkten Sinne gilt dieselbe weit mehr für das Schloss in Blois als für das Schloss Chambord. Die Verschiedenheit unseres Schlosses namentlich von dem zu Chambord in der Grundlage ist zu gross, als dass von einer Vorbildlichkeit anders als in Bezug auf die Formgebung und Ornamentierung einzelner Fassadenteile und auf die Gestaltung.und Gleichmässigkeit der vier Ecktürme die Rede sein könnte. Dem Schloss Chambord, einem zwei Stockwerke hohen, länglich-viereckigen, symmetrischen Gebäude mit acht runden Türmen von gleicher Höhe, je einem an jeder Ecke aussen und innen, und einem in der Mitte des Hofes frei stehenden höheren durchbrochenen Turme (Donjon), war durch die weite Fläche, auf der es steht, keinerlei Beschränkung der Ausdehnung oder Bestimmung der Form auferlegt; sein Charakter spricht sich mehr in horizontaler Ausdehnung als in verticalem Aufstreben aus. Dagegen ist der Neubau des Schweriner Schlosses durch die räumlichen Schranken der insularen Lage, die planmässig vorgezeichnete Conservirung ganzer Gebäudeteile und die Richtung, ja teilweise Beibehaltung der alten Fundamente wesentlich bedingt worden, so dass der Baustyl schon dadurch etwas Bestimmtes, Eigenes, nicht Nachgeahmtes erhalten musste. Der bauliche Charakter des Schweriner Schlosses ist viel mannigfaltiger, freier, aufstrebender. Es ist nicht in symmetrische Form gebunden, es hat weit mehr Abstufung der Höhenverhältnisse, weit mehr Mannichfaltigkeit und Freiheit der Ornamentirung, weit mehr Bewegung und Leben in den emporstrebenden Teilen von dem imponirenden Hauptturme und der glänzenden Kuppel bis zu den neun kleinen Thürmchen verschiedenster Bildung. Das Gros des Gebäudes ist um zwei Stockwerke höher und die Emporragung der schlankeren und zierlicher geformten Thürme über dasselbe ist wiederum viel bedeutender. Das Ganze hat einen elevirteren Charakter. Dazu kommt noch als ein bedeutungsvoller, bei jenen Gebäuden ganz fehlender Zug die in Kunstwerken ausgeführte Darstellung historischer Beziehungen und Erinnerungen an und in dem Bauwerke. In dieser letzteren Rücksicht gibt es gewiss kein sinnvolleres Fürstenschloss als das unsrige, keins, das so beredt von seiner eigenen Geschichte, von der Geschichte des Fürstenhauses und des Landes zu dem Beschauer spricht. Die Wahl, Anordnung und künstlerische Darstellung dieser sämtlichen historischen Bezüge im Äußeren wie im Inneren ist nach Angabe und unter Beirat des Archivrats Dr. Lisch ausgeführt worden.


In selbstständiger Benutzung angeeignet sind nur die viereckigen Fenster und die dieselben einschliessenden Pilaster, die Giebel, der Fries, die äussere Galerie, die Bedachung der Türme, die Schornsteine und deren Verzierungen.

Das Schweriner Schloss bildet ein unregelmässiges Sechseck (nach der Mauerlage des inneren Hofes ein Fünfeck) mit vier winkelrechten und zwei in schräger Richtung von Nordost nach Südwest laufenden Seiten. Zwei jener winkelrechten Seiten, die Fronte nach dem Burgsee zu von 148 Fuss Länge und die Fronte nach dem Schlossgarten zu von 140 Fuss. Länge (beide aber, ohne die vorspringenden Partieen der Fronte und ohne die Arkaden der Hofseite, von 73 Fuss Tiefe), wie auch die an das nördliche Ende der Burgseeseite ansetzende kurze, der Schlossbrücke und der Stadt zugewendete Fronte von 61 Fuss Länge und 80 Fuss Tiefe, sind Neubau. Die Enden und Winkel dieser drei Fronten werden durch vier runde Türme von gleicher Gestalt und gleicher Höhe bezeichnet; jeder derselben hat 30 ½ Fuss im Durchmesser bei einer Höhe von 180 Fuss. Der Neubau, dessen Höhe vom Wasserspiegel bis zu der Balustrade über dem Hauptgesims 100 Fuss beträgt, wird also von diesen gleichförmigen Ecktürmen noch um 80 Fuss überragt. Von jenen drei Seiten des Sechsecks zieht die kürzeste, der stadtwärts gelegene, von zwei Ecktürmen flankierte Mittelbau mit der Haupteinfahrt und der Schlosswache, am meisten unsere Aufmerksamkeit auf sich. Nach dem ursprünglichen Plane sollte, da die Erbauung eines freistehenden Turmes in der Mitte des Schlosshofes, nach dem Muster des Donjons von Ghambord, wegen der beschränkten Räumlichkeit des Platzes und der ungleichseitigen Begrenzung desselben nicht ausgeführt werden konnte, ein Turm mit durchbrochener Spitze über diesem Mittelbau den Ersatz dafür bieten. Dieser Plan ward aufgegeben, als der Geheime Oberbaurat Stüler in Berlin 1851 die Bauleitung übernommen hatte. Der Mittelbau hat seinen Abschluss in einem runden Giebel erhalten und wird hinterwärts von einer 191 Fuss hohen, glänzend vergoldeten Kuppel überragt, deren Spitze mit der gleichfalls vergoldeten Statue des Erzengels Michael geschmückt ist. Wie die Kuppel über den Giebel des Mittelbaues emporragt, so lässt die mit den reichsten historischen Kunstzierden ausgestattete Vorderwand desselben das Haupteingangsgebäude tief unter sich. Ausser dieser Gradation der Höhe stehen diese aufsteigenden Teile des Mittelbaues auch in dem schönsten Verhältnisse der Nebeneinanderstellung innerhalb des Raumes zwischen Eingang und Schlosshof. Hinter dem Eingange erstreckt sich n?mlich der Vorhof (Ehrenhof, cour d'honneur), 74 Fuss breit, 64 Fuss tief, ruhend auf 40 runden, sandsteinernen Säulen, die bis an den zierlichen Fries 22 ¾ Fuss hoch sind. Die äussere Säulenfronte vor der Haupteinfahrt ist oben mit vier Trophäengruppen geschmückt. Die sandsteinerne Geländerplatte zeigt den Namenszug des Grossherzogs Friedrich Franz, rechts davon die Jahreszahl des Bauanfangs (1843) und links die Jahreszahl der Bauvollendung (1857). Der Eintretende, die säulengeschmückte Fronte des Schlosswachengebäudes zur Rechten, hat nun den günstigsten Standpunkt, die künstlerische Ausschmückung der Mittelbaufassade zu überblicken. Das Rundfeld des Sandstein-Giebels schliesst das volle mecklenburgische Wappen, gehalten von zwei freistehenden Knappen mit Hellebarden, ein. Unter demselben wölbt sich eine offene, rundbogige Halle, hundert Fuss hoch, aus welcher die kolossale Reiterstatue des "Wendenkönigs Niklot, des ersten bekannten fürstlichen Bewohners und Befestigers der Burg, hervorreitet. Auf dem Fussgestelle der Bildsäule steht: Niklot Rex 1160, weiter unten die Inschrift in goldenen Lettern:

Hier stand zur Wendenzeit eine Burg kampfbereit, die barg den König Mistislav, Held Niclot lobesan war dieses Hauses Ahn, befestigte die Stammburg brav. 1)




1) Diese und die nachfolgenden Inschriften sind nach der von dem Friedrich Eggers in Berlin verfasst, der dabei den gegebenen Buchstabenraum zu berücksichtigen hatte.