Abschnitt 1

An einer früher vermauerten Wand des Bischofshauses, welche bei dem neuesten Restaurationsbau des Schlosses blossgelegt wurde, fand man die folgende, mit Sicherheit auf die Zeit des Herzogs Johann Albrecht zurückweisende Inschrift:
      Terra domus non est animis accomoda nostris,
      Altius it nostrae conditionis honor. –
(Nicht in dem irdischen Bau ist der Seele würdige Heimat,
Uns'rer Bestimmung Bahn führt auf ein höheres Ziel.) –


Spricht sich darin zunächst und unverkennbar der fromme Sinn aus, der in unserm Fürstenhause von Geschlecht zu Geschlecht lebendig gewesen ist und der auch in des festesten, auf ferne Enkel dauernden Hauses Pracht nur die zerbrechliche Herberge des Erdenpilgers erkennt, so führt der Spruch zugleich auf die Gedanken- und Willensrichtung, welche der gesamten Restauration des Bauwerkes durch den Grossherzog Friedrich Franz einen bestimmten Charakter aufgeprägt hat, und das grossartige Gebäude, wie es jetzt dasteht, mit breiter und fester Grundlage der Erde anhaftend, aber mit den Spitzen zahlreicher Türme der Höhe zustrebend, stellt sich wie eine sinnvolle, architektonische Verkörperung der in der Bauinschrift des frommen Ahnherrn ausgesprochenen frommen Erhebung dar.
      Die Aufgrabungen bei dem grossen Neubau haben es unwiderleglich dargetan, dass das Terrain, auf welchem das Schloss steht, nicht eine künstliche, wie man früher glaublich zu machen suchte, sondern eine natürliche Insel ist; denn es zeigte sich dabei dasselbe geologische Profil (Sand, Kalk und Torferde über einander), das man auch sonst in dem westlichen Uferlande des Schweriner See's ermittelt hat. Auch in historischer Beziehung haben bei den Aufgrabungen „Steine, die man aus dem Schoß der Erde gräbt", ihr Zeugnis abgelegt, wo die Geschichte schweigt. Feuersteindolche, in der Torferdeschicht aufgefunden, machen es wahrscheinlich, dass die kleine, in dem südlichsten Teil des Schweriner See's gelegene.und denselben von seinem südwestlichen Ausläufer (der nachmals Burgsee genannt worden) trennende Insel schon in der Steinperiode, der grauen Hünenzeit, bewohnt gewesen ist. In welcher Zeit die Wenden zuerst auf dieser von morastigem und waldigem Uferlande umgebenen Insel einen Erdwall aufgeschüttet und so eine ihrer Befestigungen oder Burgen an einem Platze, der besonders dazu einladen musste, gegründet haben, darüber schweigt die vorhandene geschichtliche Kunde. Die Meinung David Frank's (Altes und neues Mecklenburg I. S. 214.), dass dies um das Jahr 500 n. Chr. Gr. geschehen sei, lässt sich zwar nicht näher begründen; das liegt indessen im Bereich der historischen Wahrscheinlichkeit, dass die obotritischen Herrscher zur Zeit der andauernden Kriege mit den Wilzen, im achten und zu Anfang des neunten Jahrhunderts, einen Platz bereits befestigt hatten, den alle lokalen Bedingungen vorzugsweise dazu bezeichneten, und der für das südliche Uferland des See's eben so einen haltbaren Punkt darbot, wie die wahrscheinlich gleichzeitige Burg. Mecklenburg die nördliche Ufergegend beherrschte. In den Kriegen gegen die Witzen und die transalbinischen Sachsen, die den Kaiser Karl den Grossen 789, 795 und 804. in die Eibländer führten, sowie gegen die Dänen werden die Obotritenkönige Witzin.(† 795) und Thrasiko († 808 oder 810) auch schon die Burg Zuerin zu ihren festen Sitzen gezählt haben. Dass man dem Orte ausser der Festigkeit auch noch in der besonderen Anmuthigkeit der Lage oder in dem Wald- und Wildreichthum Vorzüge zuerkannte, die ihn zum Lieblingsaufenthalte kriegerischer Herrscher eignen konnten, liegt in der wendischen Bedeutung des Namens (Thiergarten, Wildpark) ausgesprochen. Hätte Eginhard in seinen Annalen diejenigen obotritischen Festen genannt, welche der Dänenkönig Grottfried im Jahre 808 eroberte, so würden wir damit vielleicht ein um zwei Jahrhunderte älteres Zeugniss für das Vorhandensein der Burg Zuerin gewonnen haben, als es nun in der Angabe der Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg vorliegt: dass im Jahre 1018 die Leutizen (Wilzen) den obotritischen König Mistislav den Aelteren überfallen und in seine Burg Zuerin gedrängt haben. Die Höhengrenze des von den Wenden aufgeschütteten Walles fand sich bei den letzten Aufgrabungen durch ein unzweifelhaftes Merkmal der Bauwerke aus den letzten wendischen Jahrhunderten bezeichnet, nämlich durch eine grosse Anzahl Scherben von einer bestimmten, mit Granitgrus durchkneteten Masse mit bestimmten eingekratzten Verzierungen von wellenförmiger Zeichnung, wie sich solche gleicherweise auf den Burgstätten zu Mecklenburg, Ilow, Dobbin, Werle u. s. w. gefunden haben.


Das Jahr 1160 bezeichnet den heldenhaften Untergang des Heidenthums in Mecklenburg und zugleich eine Katastrophe des Schweriner Schlosses. König Niklot hatte eben seinen genannten Burgen erhöhete Festigkeit zu geben gesucht, als er, vor den andrängenden Sachsenheeren Heinrich's des Löwen zurückweichend, „der Gefahr einer Belagerung vorbeugend", wie Helmold im Chronicon Slavorum sagt, seine Burgen Schwerin, Mecklenburg, Dobbin und Ilow verbrannte, um sich auf die Vertheidigung von Werle (zu Wieck bei Schwaan) zu beschränken, unter dessen Wällen er den Heldentod fand. Aber schon der Herzog Heinrich der Löwe begann den Wiederaufbau der Burg; er gründete die Grafschaft Schwaan, mit welcher er den Gunzelin von Hagen belehnte, und die Burg Schwerin war von nun an der Hauptsitz der Grafen von Schwerin. Ein Ueberrest des Neubaues der Burg zu Anfang.der Grafenzeit ist ohne Zweifel die Erhöhung des Burgwalles mittelst horizontaler Schichten von dünnen Ellern- und Eichenstämmen oder Schloten, die in gleicher Höhe wie der ursprüngliche wendische Erdwall sich über denselben erhob und bei dem neuesten Grundbau noch deutlich zu erkennen war. Auf diesen Schichten waren die alten Gebäude, von welchen im Uebrigen keinerlei Kunde auf uns gekommen, ohne besonders starke Fundamente aufgeführt. Für die Festigkeit der wiederhergestellten Burg spricht der Umstand, dass in dem Kriege von 1164 Niklot's Sohn, Pribislav, alle Burgen der Sachsen nahm, nur Schwerin und Ilow nicht.

Bis zum Jahre 1358, d. h. bis zu dem Ende einer selbstständigen Grafschaft Schwerin, blieb die Burg Schwerin der Herrschaftssitz der Grafen. Auch die ersten Herzöge von Mecklenburg nahmen in der Festung Schwerin (castrum Zuerin) ihre Residenz und pflegten und erhielten das Schloss als den Lieblingssitz ihrer Hofhaltung. Ihre Bauthätigkeit bezeugten die alten Gebäudetheile auf der Südwestseite – das Zeughaus, das Brau- und Backhaus – an welchen man beim Abbruche den weiten Spitzbogenstyl des fünfzehnten Jahrhunderts beobachtete. Zu Ende des fünfzehnten und zu Anfange des sechzehnten Jahrhunderts, als die grossen, umgestaltenden Kräfte der neuen Zeit sich durch die alte Welt hin zu regen begannen, wird es auch in dem Schweriner Schlosse lebendiger Herzog Magnus II. (1477–1503) war der Erbauer des nordöstlichen Hauptgebäudes, „des langen Hauses" und wahrscheinlich auch des an das östliche Ende desselben im stumpfen Winkel ansetzenden, im Innern bald mit ihm zu einem Gebäude verbundenen Bischofshauses, welches als Wohnsitz des Bischofs Magnus (1516–1550) jenen Namen erhielt. An das lange Haus wurde 1555 das Portal im Schlosshofe angebaut, und auch in dem Neubau dient demselben das schmuckreiche Portal der Obotritentreppe zur Zierde. In dem Erdgeschosse, welches in neuerer Zeit (um 1700 bis 1835) als Sitz des Geheimen- und Haupt- Archivs, sodann als Aufstellungsort der Grossherzoglichen Sammlung der vaterländischen Alterthümer' und der Sammlungen des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde, und schliesslich – der letzte Dienst im alten Schlosse – als chambre ardente für die Leichenfeier des Grossherzogs Paul Friedrich verwendet wurde, enthielt dieses nicht sehr stark und dauerhaft aufgeführte Gebäude im sechzehnten Jahrhunderte den Hofsaal, die grosse Hofdornitz (d. h. Flur, Herdstelle, slawisch drwonice, plattdeutsch Dönsk), ein geräumiges Versammlungslocal für die Hofgesellschaft bei Hoffesten, Aufzügen u. s. w., welches in der ersten Zeit nach der Erbauung, bevor man im zweiten Stock solcher Burggebäude den Tanzsaal, in dem dritten den Speisesaal einrichtete, auch zu den Zwecken dieser letzteren gedient haben wird, hundert Jahre später aber nur noch als Versammlungsort der Hofdienerschaft benutzt zu sein scheint. Nach der Seeseite zu schloss sich an das „lange Haus" der Zwinger oder die Bleikammer mit dem unterirdischen Gefängnisse oder dem Burgverliess. In dem letzteren befand sich ein heimliches Gericht, welches die Tradition „die eiserne Jungfrau" nennt. Man fand hier noch 1839 fünf grosse, zweischneidige Schwerter, und in der Mauer einen eisernen Ring und ein eisernes Band mit Gelenk. Von vier der Klingen gehörten je zwei paarweise zusammen; jede wog acht Pfund, war 33-34 Zoll lang und oben gegen 5,.unten gegen 3 Zoll breit.