V. - Ein alter Staudamm aus der Pyramidenzeit

Unter den fremdartigen Eindrücken, die die Wüste gewährt, verwirrt nichts in so hohem Grade das Auge des Beschauers als das flimmernde Einerlei der Lichterscheinungen, die es von allen Seiten bestürmen. Ob sie Fels- oder Sandwüste, oder ob Gerölle sie bedecken, gleichviel ob gekleidet in das blende Gewand weißer Kalkfelsen oder in jene »braune Witwentracht«, die Freiligraths dichterisches Ahnen so glücklich erfand, immer versagt das gewöhnliche Auge in ihr seinen Dienst als Distanzmesser: Nah und fern verschwimmen ins Ungemessene, und selbst die besten photographischen Apparate sind nicht imstande, unserer unzulänglichen Unterscheidungskraft durch das gewährte Bild zu Hilfe zu kommen. Die Wüste erweist sich eben als die große Schaubühne der optischen Täuschungen, und gewiß ist, daß nur das Auge ihrer ureingesessenen Bewohner über ein vollkommeneres und besser geschultes Akkommodationsvermögen verfügt

Diesem Umstande hatte ich es zuzuschreiben, daß mir in der Umgegend von Kairo in einem wiederholt besuchten Tale lange Zeit ein interessanter Fund entgangen war, bis ich einst, auf dem Heimwege begriffen, als die Sonne bereits tief stand und grelle Schatten alle Gegenstände in deutlicherer Gestalt hervortreten ließen, wie zufällig zu ihm gelangte. Diese von mir 1885 gemachte Entdeckung betraf einen merkwürdigen Bau aus sehr alter Zeit, und ich will im nachstehenden versuchen, durch Wort und Bild von ihm eine Beschreibung zu geben.


Elf Kilometer im Südost von Heluan, der wegen seiner Schwefelquellen und als Luftkurort vielbesuchten Villenstadt in der Nähe Kairos, hatten die alten Ägypter in einem Tale, das heute den Namen Uadi Gerraui führt, ein gemauertes Stauwerk zu dem Zwecke aufgeführt, um die in regenreichen Wintern von den höher gelegenen Plateaustufen der östlichen Gebirgswüste oft mit großem Ungestüm herabkommenden Wassermassen aufzufangen und das von steilen Felswänden eng eingeschlossene Talbett auf eine weite Strecke zu einem dauernden Sammelbecken zu gestalten.

Das Uadi Gerraui hat seine Austrittsstelle sieben Kilometer in Süd von Heluan und verliert sich dort in der sterilen Bodenfläche von Kies, Sand und zerkleinertem Trümmergestein, die sich in dieser Gegend am östlichen Rande des Kulturlandes in einer Breite von vier bis fünf Kilometern hinzieht. Zahlreiche Täler gleicher Art und von so ähnlichem Aussehen, daß ein Wiedererkennen der örtlichkeit hier nur dem Geübten ermöglicht ist, durchschneiden in der Richtung von Ost nach West die unregelmäßig zerrissenen, aber meist in sehr gleichmäßigen Horizontallinien sich abstufenden Kalkplateaus der östlichen oder ägyptisch-arabischen Wüste. Unter diesen würde das Uadi Gerraui, dessen Längenausdehnung ungefähr fünfundzwanzig Kilometer beträgt, als ein Tal dritter Größe zu bezeichnen sein. Es ist der Typus eines Erosionstales und bietet auf weite Strecken, namentlich oberhalb des alten Stauwerks, die charakteristischen Formen des Eingesägtseins der Talrinne in das weiche weiße Kalkgestein. Unablässig nagen die periodisch-ephemeren Wasserzüge des Winters an dem Boden des Talgrundes, der sich in einer Breite von nirgends unter fünfzig Metern zwischen senkrechten Uferwänden von zwanzig, ja oft von dreißig Metern Höhe in Kurven- und Bogenwindungen von eigentümlicher Regelmäßigkeit hinzieht, dann wieder auf weitere Strecken geradlinige Formen anstrebt und an solchen Stellen mit den Dimensionen einer Berliner Straße sich wie der trockengelegte Schiffahrtskanal einer Isthmusdurchstechung ausnimmt. Bei diesem beständigen Sägen und Nagen ist indes in der Wüste das Wasser allein nicht beteiligt; der Wind, die chemische Zersetzung, die Temperatur- und Sonnenwirkungen und noch viele andere Faktoren bedingen hier ein Zusammenwirken aller Atmosphärilien, das durch unentwegte Stetigkeit an seinem schließlichen Ergebnis den Hauptanteil hat und bei allen Veränderungen der Bodenplastik eine hervorragende Rolle spielt. Der Zahn der Zeit hat denn auch, und zwar bereits vor undenklicher Zeit, das in seiner Anlage so solid und unverwüstlich beabsichtigte Stauwerk im Uadi Gerraui zerrissen und auf den am übriggebliebenen Mauerrest noch sichtbaren Steinen seine Spuren hinterlassen, die unverkennbar das höchste Altertum bekunden.

An dieser Stelle sei gleich einer für die Beurteilung des alten Stauwerks sehr wichtigen Frage vorgegriffen, nämlich der in betreff einer etwaigen Klimaveränderung Ägyptens in historischer Zeit. Hervorragende Geologen sind noch bis vor etwa dreißig Jahren bemüht gewesen, für eine solche Annahme mit dem Vollgewicht ihrer Autorität einzutreten. Anders als durch Wasserfluten und große Ströme wußten sie sich diese eigentümlichen Wundergebilde nicht zu erklären, die durchrissenen und abgespülten Felswände oder die ausgehöhlten Talkessel, dann jene »Zeugen« genannten isolierten Überreste verschwundener Schichten, die, gegenwärtig wie Inseln aus dem geebneten Wüstenterrain emporragend mit ihren Spitzen und Scheitelhöhen das Niveau der ehemaligen, durch die Denudation verschwundenen Horizonte andeuten. Derartigen Phänomenen der Geotektonik gegenüber, wie sie gerade in der Umgebung des Uadi Gerraui so auffällig in die Augen springen, waren sie ratlos. Erst durch Johannes Walther und seine epochemachende Schrift über die Denudation in der Wüste ist dieser veraltete Standpunkt überwunden und unwiderruflich der Nachweis geführt worden, daß zur Erklärung dieser Wüstenformen keine anderen Kräfte herangezogen zu werden brauchen als diejenigen, die wir noch heute in denselben Gebieten wirksam sehen.

Übrigens kennt jeder Bewohner von Heluan aus Erfahrung die zerstörende Kraft, die den Regenfluten der Wüste innewohnt, so selten sie sich auch einstellen und von so kurzer Dauer sie sonst auch sein mögen. So hatte es, um ein Beispiel anzuführen, am 6. Januar 1893 in der Umgegend von Heluan sehr stark geregnet. Das Uadi Hof, ein Tal zweiter Größe von vierzig Kilometern Länge, das vier Kilometer im Norden der Stadt aus dem Gebirge heraustritt, führte mehrere Stunden hindurch Wasserfluten in einer Höhe von einem Meter und von zwanzig Meter Breite. Diese zerstörten den ohne Durchlaß gebauten Eisenbahndamm und unterbrachen für einige Tage die Verbindung mit Kairo. Man kann die an jenem Tage dem Nil zugefügte Wassermasse in der Mindestschätzung auf 600 000 Kubikmeter berechnen. Ein solches Volumen hätte ausgereicht, um die durch das alte Stauwerk abgesperrte Strecke im Uadi Gerraui in einer Länge von fünf Kilometern auf anderthalb Meter anzufüllen.

Allerdings können in diesen Gegenden manchmal einige Jahre vergehen, ehe derartige Regenfluten wiederkehren, andererseits aber genügt auch eine einmalige Füllung der Felsenbecken, wenn sie ohne Spalten und Risse sind, um das Wasser mehrere Sommer hindurch in Vorrat zu halten, wie das in dem Felsenschacht eines dicht bei Heluan gelegenen Steinbruchs zu sehen ist, wo die Arbeiter sich jahrelang des besten Trinkwassers erfreuen.

Zu einem ähnlichen Zweck ist nun offenbar auch das alte Stauwerk angelegt worden. Seine Größenverhältnisse, sowie die auf die Herstellung verwandte Sorgfalt lassen auf eine lange Dauer derjenigen Arbeiten schließen, die hier von der Anlage Vorteil ziehen sollten. Es drängt sich daher die Frage auf, welcher Art diese Arbeiten gewesen sein mögen, die eine große Anzahl von Menschen in Anspruch genommen haben müssen; denn daß das Stauwerk zu Bewässerungs- und Kulturzwecken hergestellt worden ist, scheint aus vielen Gründen ausgeschlossen, namentlich auch aus dem, daß sich hier nirgends Spuren von Leitungskanälen nachweisen ließen.

Bei der großen Tätigkeit, die zu der Zeit, da die Riesenbauten des alten Reiches in den Himmel wuchsen, diese Wüsten belebt haben muß, darf man zunächst die Steinbrüche in Betracht ziehen. Nun finden sich zwar südlich von den Steinbruchshöhlen von Maassara (sechs Kilometer im Norden von Heluan), jenen großen Vorratskammern von Pyramidenmaterial, keine ähnliche Werkstätten mehr am Rande der östlichen Wüste vor, es finden sich aber Überbleibsel von Alabasterbrüchen, und gerade das Uadi Gerraui ist es, das solche oberhalb des Dammes in unzweideutigem Zusammenhange mit dieser Anlage zur Schau stellt.

Wenn man am südlichen linken Rande des Uadi Gerraui in gerader Linie nach dem Osten geht, auf einen Vorsprung zu, den die Felsabstürze bilden, wo sie die obere Begrenzung des Tales auf der Südseite darstellen, so entfernt sich die zwischen den unteren Steilwänden eingeschlossene Sohle nordwärts in einem weiten hufeisenförmigen Bogen, dessen Sehne einen Kilometer beträgt. Wenn man nun zu einigen Vorstufen und Schutthalden emporsteigen will, die unter der genannten Ecke vorgelagert sind und wo man gleich darauf wieder am Abhange des unteren Talrandes steht, so wird man eine Rampenanlage gewahr, die den Weg in deutlicher Weise markiert. Auf dieser Rampe, zwei Kilometer vom Stauwerk entfernt, sind die Blöcke befördert worden, deren Fortbewegung am südlichen Rande des Taleinschnittes bis zur Erreichung des Niltales sonst nichts im Wege stand. Daß es sich bei dieser Rampe nicht um den ausgetretenen Kamelweg einer jener zahlreichen Gipskarawanen handeln kann, die man heute noch aus den entfernteren Wüstenteilen alltäglich nilwärts ziehen sieht, geht aus den sorgfältig geschichteten Blöcken und Steinlagen hervor, die sie stützen und die sich auf der felsigen Unterlage noch erhalten haben und nach ihrem Aussehen auf eine sehr alte Anlage schließen lassen. Zwei Kilometer hinter dieser Rampe gelangt man dann, oben am Talrande weitergehend, zu einer der am besten erhaltenen Ausbeutungsstellen des Alabasters am Absturz der südlichen Wand. Die umherliegenden Trümmerstücke dieses Gesteins, das man in den Klüften und Spaltungen der anstehenden Kalkfelsen abgelagert findet, beweisen zur Genüge das Vorhandensein eines ehemaligen Betriebes an dieser Stelle. Ähnliche Vorkommnisse wiederholen sich in dieser Gegend noch an vielen Stellen des Tales, doch will ich den Leser mit ihrer Aufzählung nicht weiter ermüden. Es verdient aber an dieser Stelle besonders darauf aufmerksam gemacht zu werden, daß der Natur der Verhältnisse gemäß die heute noch vorhandenen Bruchstücke und Trümmer nicht in solcher Massenhaftigkeit dargeboten erscheinen, daß man sofort von einer daselbst stattgehabten Verwendung großer Scharen von Arbeitern überzeugt wird; man muß eben bedenken, daß das unablässig zerstörende Werk der Erosion im Laufe so vieler Jahrhunderte die meisten Stücke zerstört und hinweggeräumt hat, und daß auf der glatt wie ein Tisch reingescheuerten Sohle des Rinnsals, wie auch an den Gehängen der Talwand durch sie alle Spuren der ehemaligen Sprengarbeit längst verwischt worden sind.

Solche alte Alabasterwerke finden sich auch in anderen benachbarten Tälern dieser Gegend, und bei genauer Durchforschung aller Örtlichkeiten wird es vielleicht noch einmal gelingen, Inschriften ausfindig zu machen, die von dem alten Betriebe Zeugnis liefern, wie die in den Steinbrüchen von Maassara erhalten gebliebenen Steinurkunden. Ein interessanter Fund, den ich im oberen Uadi Hof, in gerader Linie zwölf Kilometer ostöstlich von seiner Austrittsstelle entfernt, zu machen das Glück hatte, mag diese Hoffnung als eine berechtigte erscheinen lassen.

Wer den Versuch machen will, vom Uadi Gerraui, von der Stelle des alten Alabasterbruchs aus, in gerader Linie sechs Kilometer weit in der Richtung nach Norden, etwas zu Westen, durch die Wüste zu gehen, wird nach Überschreitung des dazwischen liegenden Uadi Risched zu einer die Gegend weit beherrschenden isolierten Berghöhe gelangen, einem »Temoin«hügel größter Art. Hinter ihm geht in einer tiefen Schlucht das Uadi Hof im Bogen herum, und an seinem Rinnsal, dicht unter dem Fuß jener Berghöhe, findet man eine mit Alabaster überzogene fast senkrechte Felsmasse anstehend. In diese glatte, aber sehr geschwärzte Alabasterplatte ist mit Umrißlinien die siebzig Zentimeter hohe Figur des Ptah eingemeißelt und darüber die Hieroglyphenschrift erkennbar, die besagt: »Ptah, der Herr.« Der Kopf ist durch kleine Meißel- oder Hammerhiebe in neuerer Zeit unkenntlich gemacht worden und erscheint wie punktiert. Man erkennt aber aus der Rundung, daß er die übliche flache Kappe trug, die.zu den Attributen des Gottes gehörte. Am Nacken ist der Halsschmuck des Ptah sichtbar, die Hand hält das lange Zepter. Die ganze Zeichnung und die Schrift verrät eine unkundige Hand, wie wenn ein gewöhnlicher Steinarbeiter sie ausgeführt hätte. Das Fußende der Figur kommt heute vierzig Zentimeter über dem Niveau des hier völlig ebenen Talgrundes zu stehen, indes ist die örtlichkeit nicht eine derartige, daß man an dieser Stelle eine im Laufe der Zeit stattgehabte starke Talaufführung anzunehmen hätte. Dieses in einem dem alten Memphis gerade gegenüberliegenden Tal erhaltene rohe Götterbild stammt gewiß aus einer sehr frühen Epoche. Ptah, mit seinem Apis, war die alte Gottheit von Memphis und stand an der Spitze des ersten Götterkreises. Die Griechen identifizierten ihn mit ihrem Hephästos (Vulkan), dem Gott des Feuers und der Künste.

Auch an dieser Stelle ist der Alabaster im Altertume abgebaut worden, wie zahlreiche Bruchstücke verraten, sowie die uralten dicken Tonscherben mit von der Zeit benagten und völlig abgerundeten Kanten, die hier wie im oberen Uadi Gerraui zwischen den Alabasterscherben liegen.

Der Alabaster tritt in den eozänen ägyptischen Kalkgebirgen in mannigfaltiger Gestaltung auf, meist als Spaltausfüllung der Klüfte, deren Wände mit spatigen Ausscheidungen überzogen wurden. Die Gange, die hier mehr oder minder senkrecht verlaufen, erreichen häufig eine Dicke von einem Meter und darüber. Der ägyptische Alabaster ist übrigens kein Alabaster in gewöhnlichem Sinne, kein spatiger Gips, sondern kohlensaurer Kalk und als Mineralmasse nicht verschieden von den Stalaktiten, die sich an wasserreichen Höhlen bilden, wie ich solche auch in der östlichen Wüste Ägyptens, im Galala-Gebirge, z. B. im Uadi Natfe, zu beobachten Gelegenheit fand. Der ägyptische Alabaster teilt also mit anderen altberühmten Gesteinsorten des Landes das Mißgeschick, in dem Sinne der heutigen mineralogischen Nomenklatur nicht mehr das zu sein, was er ist und worauf doch der alte Name das erste Anrecht erteilen sollte. Auch der Porphyr, der alte rote, soll nach heutiger Fassung kein echter Porphyr mehr sein, das Gestein von Syene kein Syenit, sondern Granit usw. Dieser Kalkalabaster ist gewöhnlich sehr grobkörnig und von ungleicher Dichtigkeit, teils rein weiß oder fleckig gelblich, wie man das an den Säulen der Alabastermoschee der Zitadelle von Kairo sehen kann. Es finden sich aber auch ganz feinkörnige und rein weiße Sorten, wie sie zu allen Epochen der ägyptischen Geschichte zu Vasen (Kanopen) und kleinen Gefäßen, namentlich zu kosmetischen und zu Toilettengegenständen verarbeitet wurden. Nach Plinius hätten sich die Salben und Mixturen in den Alabastertöpfen am besten erhalten, ohne zu verderben. Große Blöcke dieses Materials scheinen aber vor Mehemed Ali hauptsächlich oder vielleicht ausschließlich im alten Reiche Verwendung gefunden zu haben, wie das die zahlreichen Bruchstücke bezeugen, die man im Umkreise der zweiten (Chefren-) Pyramide findet. Wenige Schritte in südöstlicher Richtung von der Sphinx ist dort auch der sogenannte »Quaderbau« zu bewundern, angeblich die älteste ägyptische Tempelanlage und von Mariette im Jahre 1853 entdeckt. Dieser großartige »Torbau des Chefren«, aus dessen sandverwehten Räumen einige Statuen des Chefren ans Tageslicht gezogen wurden, und in dem man den von diesem Könige gegründeten Tempel der Sphinx vermutet, ist aus dem Kalkfels des Pyramidengrundes ausgeschachtet und an seinen Wänden sowohl in den Gängen wie auch in den Kammern und Nischen teils mit Granit-, teils mit Alabasterblöcken von riesigen Dimensionen und beispielloser Vollendung ausgekleidet. Diese polierten Blöcke erreichen zum Teil eine Länge von über vier Metern. Ob Blöcke von ähnlicher Größe in späteren Epochen der älteren Geschichte überhaupt noch Verwendung gefunden haben, ist mir unbekannt, und Prof. A. Ermann hat wohl mit Recht in Zweifel gezogen, daß die inschriftlich erwähnte Kolossalfigur eines Dhuthotep genannten Fürsten aus dem mittleren Reiche, die eine Höhe von 6,5 Meter gehabt haben soll, wirklich aus Alabaster geformt gewesen ist, wie der Text besagt. Wahrscheinlich erscheint es auch, daß die mineralogischen Kunstausdrücke der alten Ägypter noch nicht hinreichend aufgeklärt worden sind. Es werden auch Sarkophage aus Alabaster erwähnt. Einen solchen größter Art soll das Soane-Museum zu London beherbergen. Letzterer gehört aber wohl einer späteren Zeitepoche an. Die wichtigsten Alabasterbrüche waren indes bis auf die neueste Zeit in der Gegend östlich von Benisuef (im Uadi Moathil) und am östlichen Gebirge gegenüber der Strecke des Niltals von Melaui bis Assiut in Betrieb. Das alte Alabastron, das Brugsch mit dem alten Namen Hasuten identifiziert, und nach dem Ptolemäus diesen Teil des Gebirges benannte (Alabastrites), lag bei Tel-el-Amarna, am rechten Nilufer zwischen Derut und Melaui. Es könnte gegen meine Annahme eines im Uadi Gerraui befindlichen Alabasterbruchs in großem Maßstabe der Einwand erhoben werden, daß die Blöcke des Sphinxtempels aus jenen vorhin erwähnten südlicheren Steinbrüchen Ägyptens hergenommen sein konnten, denn so gut, wie man in den ältesten Zeiten bereits große Granitblöcke von Syene herbeizuschaffen wußte, ebenso wird man auch zur Beschaffung des Alabasters sich nicht von Vorzügen der näheren Lage seiner Steinbrüche habe leiten lassen. Nun ist aber der Alabaster nirgends in solcher Mächtigkeit abgelagert, daß sich Blöcke von den in dem Quaderbau des Chefren dargebotenen Dimensionen mit Leichtigkeit an ein und derselben Stelle herausschlagen lassen. Es bedurfte jedenfalls eines mühsamen Nachsuchens und Schürfens nach den geeigneten Vorkommnissen, und man wird die einzelnen Blöcke wohl an räumlich sehr verschiedenen Stellen ein und desselben Bezirks gewonnen haben. In den nach Aussage der Ägyptologen auf Alabaster gedeuteten Angaben der alten Inschriften sind überdies ganz verschiedene Namen von Örtlichkeiten angeführt, an denen dieses Gestein ausgebeutet worden sein soll. Vieles bleibt in bezug hierauf noch unklar und zweifelhaft.

Der vorhin erwähnten Rampe ist bereits als eines Beweismittels für die Annahme des dortigen Massenbetriebs der alten Alabasterausbeutung gedacht worden, ich habe aber noch einer anderen alten Weganlage Erwähnung zu tun, deren Spuren weiter unterhalb im Tal, 8,5 Kilometer vom Stauwerk, an den Tag treten und die zu den Alabasterwerken in Beziehung gestanden zu haben scheint, wenn auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß diese Fahrstraße einer weit jüngeren Epoche angehört habe. Nördlich von der Austrittsstelle des Uadi Gerraui in die Ebene des Niltals finden sich in geringem Abstande von der in derselben Richtung nach Nordwesten gekehrten Austrittsstelle des Uadi Risched, gleichsam seinem linken südlichen Ufer folgend, Reihen von sehr verwitterten Steinlagen, die eine breite Fahrstraße einzusäumen scheinen. Im übrigen verraten die einzelnen Gesteinstücke, wo sie die Oberfläche bedecken, eine seit unendlich langer Zeit unverrückte Lage. Diese Steinlagen lassen sich in gerader Linie auf eine Strecke von 1,5 Kilometern aufs deutlichste verfolgen, und (ein Umstand, der besonders dabei in die Augen springt) ihre Richtung geht gerade auf die große Pyramide zu. Es drängt sich hierbei unwillkürlich die Vermutung auf, daß die zur Einschiffung nach den großen Bauplätzen der Westseite bestimmten Blöcke auf diesem nächsten Wege bis an den Nil gebracht worden seien.

Nachdem ich aus dem örtlichen Befund der Umgebung alles hervorgehoben habe, was einiges Licht über den Zweck des Stauwerkes zu verbreiten imstande ist, sei nunmehr über den gegenwärtigen Zustand seiner übriggebliebenen Reste berichtet. Die untere Talrinne des Uadi Gerraui, das an dieser Stelle nach Westnordwesten gerichtet ist, hat beim Stauwerk eine Breite von sechsundsechzig Metern zwischen Felswänden von zwölf bis fünfzehn Metern Höhe. Weiter oberhalb ist sie tiefer eingeschnitten. Oben am Rande sind die Talufer auf weite Strecken durchaus eben, von Ebenen umsäumt, und erst in einem weiten Abstande ziehen sich in sehr ungleichartig zerrissenen Linien, mit allerhand Vorsprüngen und Winkeln die Steilabstürze der höheren Plateauteile hin, die in Abständen von einem bis zwei Kilometern die äußere Umrahmung des Tals darstellen und das Rinnsal um mindestens hundert Meter überragen.

Der Grund der Talsohle ist fast überall vollkommen eben, oft durchaus geglättet. Beim Stauwerk besteht die Sohle aus Felsplatten, auf denen loses Steingeröll und Steintrümmer ausgebreitet sind. Fast in der mathematischen Mittellinie zieht sich durch die Talsohle eine schmale zentrale Rinne, die in die Felsplatten, auf denen die untersten Bruchsteine des alten Mauerdammes ruhen, zwischen zwei und drei Meter tief eingeschnitten erscheint und das langsame Zerstörungswerk der seit der Durchreißung des Dammes stattgehabten Erosion vor Augen führt.

Da in Ägypten bisher noch kein Stauwerk aus den älteren Epochen des Landes bekannt oder beschrieben wurde, beanspruchen die Einzelheiten des Baues ein erhöhtes Interesse. Der Damm hatte zwischen den Talwänden, mit denen er in gleicher Höhe geführt wurde, oben eine Länge von 80 Metern, seine Basis betrug, der Talsohle entsprechend 66 Meter, dabei war seine Höhe 10,25 Meter. Die Breite oder Dicke des Dammes betrug 45 Meter. Das Stauwerk vermochte, wenn bis oben gefüllt, eine Wassermasse von ungefähr viertehalb Millionen Kubikmeter aufzunehmen. Es ist aber vorauszusetzen, daß das Wasser in ihm schwerlich jemals mehr als zwei Meter gestanden hat, und alsdann wäre die Masse nicht viel über 600 000 Kubikmeter gewesen, ein Vorrat, mit dem zur Bewässerung von Ländereien nicht viel anzustellen war.

Hinsichtlich der Zusammensetzung seiner Masse bestand der Damm aus zwei Teilen. Die der Stromrichtung zugekehrte Hälfte war aus Bruchsteinen aufgeschichtet und mit einem Mantel von treppenartig ansteigenden zugehauenen Steinblöcken bedeckt, der gegen die zu erwartenden Regenfluten Front machte. Die vordere, talabwärts schauende Hälfte stützte die hintere durch angehäufte Massen von Tonmergel und Steintrümmern, die den Schutthalden der Talwand entnommen waren. Vom ganzen Bau sind, wie man das an der Abbildung hinten noch sehen kann, an beiden Talwänden zwei Überbleibsel stehengeblieben, von denen das auf der Nordseite das Mauerwerk in seiner ursprünglichen Gestalt noch deutlich erkennen läßt. Das nördliche von diesen zwei übriggebliebenen Dammstücken ist oben 17,4 Meter, das südliche 19,2 Meter lang. Der Zwischenraum zwischen beiden, der durch die Talerosion fortgetragene Teil des Dammes, beträgt 40 Meter.

Am nördlichen Dammrest lassen sich noch zweiunddreißig im Zusammenhang befindliche Stufen unterscheiden, die in einem Neigungswinkel von 45 Grad emporstreben. Nach oben zu erscheint diese Stufenreihe etwas gebogen, in der Böschungslinie gewölbt, was sich auch an der diesen Teil genauer illustrierenden Abbildung erkennen läßt. Ich vermochte indes nicht zu ermitteln, ob diese Wölbung im oberen Teil der Außenseite des Baues ursprünglich beabsichtigt gewesen ist, oder ob sie als die Folge eines Einsinkens der Bruchsteine zu betrachten wäre, die als Hauptmasse des Dammes bestanden und die dadurch, daß sie sich sackten, ein Zurückweichen der höheren Stufenlagen bewirken konnten. Die den Stufenmantel des Dammes bildenden Hausteine haben die Dimensionen: 0,4 Meter Länge, 0,3 bis 0,28 Meter Höhe, 0,5 bis 0,6 Meter Tiefe. Es sind also breite, ziemlich flache Steine, die mit der kurzen Fläche nach außen liegen. Der Mehrzahl nach bestehen sie aus dem weißen, sogenannten milden Kalkgestein der der Nummulitenformation angehörenden umliegenden Felshöhen. Es ist von einer sehr mürben, kreideartigen Beschaffenheit, von blendendem Weiß, fast ohne Fossileinschlüsse und in hohem Grade kochsalzreich. Dieser letzte Umstand, der Salzgehalt, bedingt in erster Linie ein Phänomen, das sich in den Wüsten Ägyptens überall, wo Kalkfelsen anstehen, in ganz hervorragender Weise den Blicken des Beschauers aufdrängt und das gerade an diesen zugehauenen Steinen des Dammes in sehr charakteristischer Weise zur Geltung kommt. Ich meine das Phänomen der Bildung dunkelgefärbter Schutzkrusten und der Schattenverwitterung, Vorgänge, die beide zum erstenmal von Professor Joh. Walther ausführlich erörtert und begründet worden sind, wennschon die chemische Erklärung derselben noch viele Fragezeichen aufweist. Die wunderbaren Gestalten, wie sie namentlich die Kalkfelsen in diesem Wüstengebiete annehmen, z. B. die Blöcke mit pilzförmig vorspringenden Kappen, die hängenden Gesimsplatten und die wie Hohlkehlen ausgeschweiften Böschungen, die überall an senkrechten Felswänden entstehen und endlos mit wunderbarer Regelmäßigkeit sich an den mauerartigen Talböschungen hinziehen, sind das Ergebnis dieser Vorgänge. Die Schutzkrusten bilden sich in der Mehrzahl der Fälle an den horizontal ausgebreiteten Teilen der Felsmasse. Auf diesen gehen verschiedene Prozesse einer natürlichen Zementbildung vor sich, wobei der nächtliche Taufall, gelegentlicher Sprühregen, dann der herangewehte Tonstaub und schließlich die intensive Besonnung der Reihe nach mitwirken, um eine erhärtete Oberfläche zu erzeugen, die außerdem durch die im Tonstaub enthaltenen Mangan- und Eisenteile, indem diese Salze bilden, eine dunkle, oft schwärzliche, gewöhnlich hellbräunliche Färbung erhält. Meines Erachtens ist aber die vorhergegangene Drainage dieser dem Winterregen besonders exponierten Teile die erste Bedingung zu dem oben angedeuteten Prozeß, weil sie der oberflächlichen Felsmasse das in ihr enthaltene Kochsalz entzieht, da letzteres die Erhärtung durch das von ihm erzeugte Abblättern hemmen würde. In diesem Abblättern nämlich besteht die Haupttätigkeit der Schattenverwitterung. Der Wüstenbesucher kann den bei uns in Europa nirgends seinesgleichen findenden Naturprozeß zu jeder Zeit und allerorten beobachten. Er braucht nur an eine jener vorhin erwähnten hohlkehlenartig ausgewitterten Gesimsbrüstungen der Felswände heranzutreten, deren oftmals weit überhängende Schutzkrusten ihm, wenn die Sonne am höchsten steht, schattige Rastplätze gewähren. Der Beobachter wird dann gewahr, daß papierdünne Plättchen sich von der Oberfläche der Wand ablösen, die nur des leisesten Anstoßes bedürfen, um zu Boden zu fallen, wo sich immer eine Menge dieser Kalkplättchen angesammelt haben, um dann schließlich vom Winde hinweggeblasen zu werden. Diese Plättchen lösen sich dadurch von der Masse los, daß die Luftfeuchtigkeit, die auch in minimalsten Bruchteilen wirksam ist, bei Nacht sowohl als auch an beschatteten Stellen bei Tage vom Kochsalz der Kalkoberfläche aufgesogen wird und eine Volumenzunahme der betreffenden Partikelchen zur Folge hat. Diese Ausdehnung weicht einer Zusammenziehung, sobald die Sonne auf die Felswand fällt und das Kochsalz gezwungen wird, sein tropfbares Naß wieder an die Luft abzugeben. Letzteres erfolgt auch an sehr heißen Sommertagen oder bei eintretenden Chamsinwinden, wo die der Wüstenluft niemals ganz fehlenden Feuchtigkeitsmengen auf das äußerste Minimalmaß herabzusinken pflegen.

Das Kochsalz ist gleichsam der Lebensnerv der mineralogischen Wüstenwelt, denn es haucht ihren starren Formen Bewegung ein. Kalk- und Gipsspate scheinen oft seinen Spuren zu folgen. Ich selbst habe kleine vegetabilische Substanzen gesehen, winzige Strohpartikelchen und dergleichen, die wahrscheinlich durch einen am Salze haftenden Tropfen ursprünglich festgehalten worden waren, um dann nachträglich inkrustiert und dem Gestein für immer einverleibt zu werden. Kochsalzhaltiges Wasser löst mehr Gips als reines. Auf der Fähigkeit des Kochsalzes, an beschatteten Stellen und zur Nachtzeit tropfbare Feuchtigkeit aus der Atmosphäre an sich zu ziehen, beruht eine ganze Reihe von Vorgängen, die für die Wüstenbildungen und Umbildungen maßgebend sind, deren Erörterung aber hier zu weit führen würde. Es genügt hervorzuheben, daß die einzelnen Steine des Stufenbelags am alten Stauwerke im Uadi Gerraui sowohl an ihrer freiliegenden horizontalen Außenseite mit einer dunkelbraun gefärbten und stark erhärteten Schutzkruste umgeben sind, als auch im Innern vollkommen ausgehöhlt und ausgewittert erscheinen, durchaus hohlen Zähnen vergleichbar. Zwischen den ausgefressenen Steinen finden sich am alten Mauerwerk aber andere, die in ihrer Gestalt unverändert geblieben sind und ringsum glatte Flächen zu erkennen geben, das sind diejenigen Stücke, die aus gewissen Schichten von Kieselkalk gebrochen worden sind, die sich in diesen Gebirgen überall wiederholen, ein Material, das wegen seiner Härte, Homogenität und Salzfreiheit kaum einem anderen Zersetzungsprozesse unterliegt, als dem der Spaltung und des Zerfallens in Splitter.

Ausgehöhlter Stein von dem Stufenbelag des alten Stauwerks im Uadi Gerraui.

Zur Beurteilung des Zeitmaßes, das in den ägyptischen Wüsten erforderlich ist, um einen gewissen Grad der Gesteinverwitterung (Denudation) hervorzubringen, wäre es von großem Interesse, das wirkliche Alter dieses Dammes festzustellen. Vielleicht gelingt es einmal, eine solche Altersbestimmung an der Hand hieroglyphischer Dokumente vorzunehmen. An diesen Wunsch anknüpfend, sei hier noch der Chefren-Pyramide gedacht, in deren Umkreis in der Tat derartige Bedingungen erfüllt zu sein scheinen. Zur Zeit, als im dritten oder vierten Jahrtausend vor Christo die zweite Pyramide entstand, war der Felsgrund, auf dem sich der Bau erhob, zuvor geebnet und das auf der östlichen und auf der nördlichen Seite ansteigende Terrain so weit ausgeschachtet worden, daß in einem geräumigen Abstand von der Pyramidenbasis zwei hohe senkrechte Felswände gegen den Bau Front machten. In die ursprünglich glatt abgeteuften Wände wurden nachträglich einige Grabanlagen eingehauen, deren Zeitalter inschriftlich verbürgt ist. Die ausgehauenen Felsflächen selbst gleichen jetzt natürlichen Gebilden; große Blöcke sind da im Begriffe sich abzulösen, tiefe Spalten klaften, überall gewahrt man Löcher und Höhlungen von verschiedener Gestalt. Nicht minder lehrreich sind andre ursprünglich künstlich hergestellte Felswände, die Felsengräber der vierten und fünften Dynastie enthalten. Diese ziehen sich in Südost von der Chefren-Pyramide hin und haben in dem Ergebnis des Verwitterungsprozesses, den sie durchgemacht, die abenteuerlichsten Gestaltungen aufzuweisen. Der Zahn der Zeit nagt zwar langsam, aber nach einer Arbeit von fünf bis sechs Jahrtausenden hat er auch in diesem scheinbar für die Ewigkeit berechneten Lande immerhin gar manches zuwege gebracht.

Spuren menschlicher Behausungen finden sich bei allen alten Bauresten der Ägypter, und gewöhnlich bieten sie an und für sich keine chronologisch verwertbaren Merkmale, es sei denn, man fände in ihnen Gegenstände des Kunstfleißes oder wenigstens Tierknochen. An einem so entlegenen Wüstenplatz aber wie im Uadi Gerraui haben alle Überreste menschlicher Tätigkeit ein erhöhtes Interesse. An vier verschiedenen Stellen in der Nähe des Stauwerks finden sich solche, die zusammen eine alte Niederlassung ausgemacht haben müssen. Diese Baureste liegen sämtlich auf der Nordseite des Tals und bestehen aus geschichteten Blöcken, die zerfallene Mauern ehemaliger Steinhütten andeuten. Es sind nur noch wenige Lagen, offenbar die untersten, übriggeblieben, jede Spur eines Bindemittels von Tonerde oder dergleichen ist verschwunden, wohl aber erkennt man deutlich die Quadrate und Abteilungen im Grundriß der Baulichkeiten. Zunächst hat man wenige Schritte unterhalb des Dammes hart am Absturz der Talwand ein Dutzend solcher Quadrate kleinerer Art. Auf andere ausgedehntere stößt man beim Besteigen der nächstgelegenen zwei Hügel in Nordwest. Ein großes Steinquadrat mit Scheidewänden, das der östliche der beiden Hügel trägt, mag als ehemaliger Viehhof zum Unterbringen der Zugtiere betrachtet werden. Genau in Nord vom Damm schließlich und ein paar hundert Schritte von ihm entfernt, deutet ein Viereck von 10 X 35 Metern ein größeres Wohngebäude an. Die tiefe Bräunung, die alle diese Steinblöcke, die doch ursprünglich auch ihre frischen Bruchflächen hatten, an allen Seiten zeigen, spricht von der unendlichen Zeit, die vergangen sein muß, um sie in den gegenwärtigen Zustand zu versetzen. Zwischen der Trümmern finden sich Topfscherben zerstreut, von denen keine einzige Anklänge an die der griechisch-römischen oder einer neueren Periode eigentümlichen Merkmale verrät. So fehlen hier namentlich die massiven Amphorazapfen, tönerne Kegelstücke, die jüngere Epochen charakterisieren und die an Beständigkeit mit den Kieseln wetteifernd überall da liegen bleiben müssen, wo sie einmal vorhanden waren. Die hier gefundenen Scherben gehören einer rohen, sehr dickwandigen Art von Tonkrügen an, wie man sie bei den ältesten Denkmälern findet. Die Stücke sind außerdem an allen ihren Kanten ganz abgerundet, eine Folge des Sandgebläses von unberechenbarer Dauer. Professor A. Erman, den ich an die Stelle führte, nahm keinen Anstand, diese Tonscherben für solche zu erklären, die alle Merkmale der ältesten Epoche an den Tag legen, wie er denn auch in der Lage war, meinen sonstigen Vermutungen betreffs des alten Stauwerks und der Alabasterbrüche durchaus beizustimmen.

Zum Schluß habe ich noch einer von Quatremère zitierten Stelle bei Makrizi Erwähnung zu tun, da sie in Verbindung mit dem Gegenstande dieses Aufsatzes leicht zu einer irrtümlichen Auffassung Veranlassung geben könnte. Der arabische Geograph erzählt, daß der Emir Abd-el-Asis im siebzigsten Jahre der Hedschera, da eine ansteckende Seuche Fostat verpestete, seine Residenz für einige Zeit in Heluan (d. h. dem Dorfe am Nil, nicht dem heutigen Badeorte) aufschlug und den Ort durch allerhand Anlagen und Bauten verschönerte. Unter anderem ließ er auch einen Palmenhain anpflanzen, durch den eine Quelle geleitet wurde, die an einem tiefer in der Wüste gelegenen Platze namens Karkurah ihren Ursprung hatte. Auf den ersten Blick möchte mancher versucht sein, bei der Ähnlichkeit des Namens an das Uadi Gerraui zu denken, allein alle Gründe sind gegen eine derartige Identifizierung. Makrisi spricht von einer Quelle, nicht von einer künstlichen Wasserstauung. Letztere war ein Werk von derartiger Bedeutung, daß man es bei dieser Veranlassung gewiß nicht unerwähnt gelassen haben würde. Übrigens schweigt auch der Bericht von den Schwefelquellen bei Heluan, die erst in viel späterer Zeit nutzbar gemacht worden sind. Es gibt aber im Umkreise von Heluan noch verschiedene Quellen, die zur Bewässerung von Palmenpflanzungen am Rande der Wüste Verwendung hätten finden können und die, immerhin einige Kilometer vom Kulturlande entfernt, als weit ab in der Wüste bezeichnet werden konnten.

Ich habe bereits auf die verschiedenen Merkmale aufmerksam gemacht, die dem hier beschriebenen Stauwerk das höchste Alter zuerkennen lassen, namentlich auf die tiefe Wasserrinne, die in der Mitte der felsigen Talsohle nach Durchreißung des Dammes entstanden ist, und dann auf den Zustand der Bausteine. Wir kennen viele Mauerwerke aus der alten Kalifenzeit, deren Material dasselbe ist wie das im Uadi Gerraui verwandte, aber an keinem geben sich so hochgradige Verwitterungserscheinungen zu erkennen wie die oben geschilderten. Auch ist die Art der ganzen Anlage, namentlich das treppenartig stufenweise Abgesetztsein des Mauerdammes, ohne Beispiel in der arabischen Epoche Ägyptens, es sei denn, man beriefe sich auf die Baukunst der alten Sabäer und Minäer, deren früheste Wasserwerke vielleicht im Alter an die Pyramidenzeit herangereicht haben. Indes diese rätselhaften Beziehungen der uralten südarabischen Kultur zur ägyptischen gehören in ein anderes Kapitel.

Jedenfalls müssen es fremdländische Einflüsse gewesen sein, die hier zur Ausführung eines so seltenen Bauwerks die erste Anregung gegeben haben. Überblickt man alle im Uadi Gerraui gebotenen Verhältnisse und die dort hinterlassenen Spuren der Werke von Menschenhand, so drängt sich einem als Gesamteindruck die Vorstellung auf, daß der beschriebene Staudamm nicht von dauerndem Bestand gewesen sein kann, die Vermutung scheint sogar gerechtfertigt, daß der vielleicht von unkundiger Hand und ohne sachkundige Erfahrung geleitete Bau bei der ersten Hochflut im Tal, wie solche sich hier im Lauf von wenigen Jahren wiederholen können, durchrissen worden ist, um dann sich selbst überlassen zu bleiben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Afrikanisches Skizzenbuch