IX. - Ägyptische Überbleibsel in Abessinien und im Sudan (Haartracht, Pomade und Salben)

Im Zeitalter des nach allen Richtungen hin erleichterten Verkehrs und eines zunehmenden Ausgleiches der Völkergegensätze sind selbst die früher unzugänglichen Erdenwinkel vor der Hochflut der modernen Kultur und ihrer alles nivellierenden Wirkung nicht mehr gesichert. Daher sahen wir in den letzten Jahren vor dem Kriege zahlreiche Forscher hinausziehen, um in entlegenen Einöden für die Wissenschaft noch spärliche Überreste jener wirklich wilden Menschheit zu erspähen, die als Zeugen des Urzustandes für die Aufhellung unserer eigenen Entwicklungsgeschichte angerufen werden können. Reicher Gewinn ist auch der europäischen Urgeschichte aus dem Studium der sogenannten Naturvölker Afrikas erwachsen. Völker, die keine eigentlichen Wilden sind, da die sozialen Grundlagen, auf die sich ihr Dasein stützt, dieselben sind wie die unserigen und sich von diesen nur qualitativ unterscheiden.

Ein Gang durch unser großartiges Museum für Völkerkunde, das einzige Museum Berlins, das in seiner Art allen übrigen in der Welt überlegen ist (es übertrifft die Sammlungen des Museums von Kensington ums Fünfzehnfache!), führt in den verschiedenen Abteilungen die überraschendsten Analogien vor Augen, in allen Gebieten und für alle Zeitepochen das eine Beispiel durch das andere erklärend, überall die Einheit des Menschengeschlechts bekundend und das unentwegte Festhalten an dem einen »Völkergedanken«.


Eine ähnliche Aufgabe, wie für den Anthropologen und für den Prähistoriker in den Wildnissen der südlichen Hemisphäre tritt dem Ägyptologen, der sich die Aufhellung der technisch-kulturellen (ergologischen) Fragen angelegen sein läßt, in den südlich von Ägypten sich ausdehnenden Gebirgs- und Steppenwüsten entgegen. Für ihn handelt es sich darum, gleichfalls in der elften Stunde der Forschungsmöglichkeit, sich so genau als es angeht mit den Lebensgewohnheiten und Bedürfnissen der heutigen »hamitischen« Völker von Nordostafrika vertraut zu machen. Hier können verkümmerte Epigonen eines einst kraftvollen Volkstums ihm überkommene Formen darbieten, mit Hilfe derer sich vielleicht ein Teil des alten Kulturbesitzes der Ägypter wiederherstellen lassen wird, und es muß ihm das Wagnis gelingen, so gut wie der vergleichende Anatom aus einzelnen aufgefundenen Knochen das ganze Skelett einer ausgestorbenen Tierart wieder aufzubauen imstande ist. Bei den mit den alten Ägyptern verwandten oder ehemals in Kulturaustausch befindlichen Völkern, die sich im Norden und im Osten erhalten haben, werden infolge der gänzlichen Umgestaltung, die sie erfahren haben, solche Überbleibsel weit spärlicher nachzuweisen sein, aber im Süden sind es die sogenannten Hamiten der äthiopischen Gruppe und innerhalb derselben besonders die Bega-Völker (Ababde, Bischarin, Hadendoa, Halenga, Beni-Amr, Habab), die an dem allgemeinen Kulturwandel der letzten zwei Jahrtausende den geringsten Anteil genommen haben, und die daher nach der angedeuteten Richtung die besten Winke zu erteilen versprechen. Auch die Danâkil und vor allem das große und noch kräftige Volk der Somâl, das unter den heutigen Protosemiten die ausgeprägteste Eigenart zur Schau trägt, fallen in dieselbe Kategorie.

Die Literatur über diese Völker ist eine sehr große, allein die ethnographischen Einzelheiten, die sie betreffen, müssen in einer Unzahl von Reiseberichten aufgesucht werden, und es fehlt durchaus an einer zusammenfassenden Monographie. Natur- und Sprachforscher, die diese Gebiete bereisten, haben der Volkseigentümlichkeiten meist nur beiläufig erwähnt. Es ist aber gegenwärtig sehr leicht gemacht, diese Gegenden näher in Augenschein zu nehmen. Die Küstenstriche des Roten Meeres sind durch Dampferlinien, die Gebirgswüsten des Etbai durch die neuerwachte Goldminentätigkeit, auch durch die Eisenbahn nach Khartum zugänglicher geworden, und in Suakin und Massaua findet jedermann bequeme Unterkunft und leichtes Fortkommen zu Ausflügen ins Innere.

Der Reisende, der mit dem Inventar ägyptischer Museen einigermaßen vertraut ist, wird hier auf Schritt und Tritt an alte Formen erinnert werden, die ihm unter den Gerätschaften der Eingeborenen entgegentreten. Da finden sich die nämlichen Halskrücken zur Schonung des kunstvoll aufgebauten Haarputzes der Männer beim Schlafen, da sind dieselben Reibsteine zum Kornmahlen, die Holzschalen, Ruhebänke und Milchkörbe, die Wurfhölzer zum Erlegen von Hasen und Hühnervögeln, die Keulen und Stöcke, die großen Haarnadeln, die Armringe und eine Fülle von Gebrauchsgegenständen, die im Laufe von Jahrtausenden die gleichen geblieben sind. Auch in Abessinien hat sich noch manches erhalten, was an das alte Ägypten gemahnt. Dort findet sich in der Hand des vor der Bundeslade tanzenden Priesters heute noch das Sistrum der Isis, die bronzene Schellenklapper in unveränderter Gestalt. Abessinien ist das einzige Land der Welt, wo dieses rituelle Zaubergerät sich noch erhalten hat. Großes Aufsehen erregte auch vor vier Jahrzehnten ein von der deutschen Gesandtschaftreise nach Abessinien von Axum (Nordabessinien) mitgebrachtes Holzschloß von bisher unbekannt gebliebener Art. Zu diesem hölzernen Riegelverschluß einer Tür gehört ein Holzschlüssel, der hinsichtlich seiner durchlochten Form und der angebrachten Kerben genau einem im ägyptischen Museum aufbewahrten Gegenstande entspricht, dessen Deutung bisher nicht gelungen war.

Der heutige Europäer wird im allgemeinen eine nur unklare Vorstellung von der großen Rolle haben, die Öle und Fette jeder Art, sowie Spezereien und wohlriechende Substanzen in der Hautpflege beider Geschlechter namentlich vor Erfindung der Seife gespielt haben und noch gegenwärtig innerhalb der äthiopischen Regionen spielen. Unsere enganschließende Umhüllung schließt diese Art Kosmetik völlig aus, wessen Kleidung aber, im heißen und trockenen Klima, sich auf Lendenschurz und baumwollenes Umschlagetuch beschränkt, der empfindet das Einsalben des Körpers als großen Genuß. Der Reisende im Sudan wird beim Verkehr mit Leuten, die sich landesüblich kleiden, überall Ge- fehlende Zeile im Buch. Re

Vor vielen Jahren habe ich in Khartum einen schwarzen Pascha kennen gelernt, der es unter dem Khedive Jsmail zum Oberbefehlshaber der ägyptischen Truppen im Sudan gebracht hatte. Tagsüber zeigte sich Adam-Pascha nie anders als in der ordenstrotzenden Uniform. Wer ihn aber abends in seinem Hause aufsuchte, sah ihn auf hohem Ruhebett mit untergeschlagenen Beinen, über und über von wohlriechender Salbe triefend und in eine weiße »Milaje« (Umschlagetuch) gehüllt, seinem »Kef« obliegen, dem Inbegriff allen Wohlbehagens. Wer eine anstrengende Reise hinter sich hatte, wie beispielsweise nach achttägiger, Tag und Nacht fortgesetzter Durchquerung der großen nubischen Wüste, dem ward zu Abu-Hammed keine größere Erquickung zuteil, als das Einreiben und Durchknetenlassen des ganzen Leibes mit einem Übermaß von duftender Salbe. Dies geschah nach vorhergegangenem warmen Bade, und es war die größte Ehrung, die man dem Gastfreunde angedeihen ließ. Zwei Sklavinnen (die »Kosmetriae« der Alten), waren eigens zu dieser Dienstleistung geschult, und sie brachten die mit gestoßenem Zimt und Gewürznelken, mit Bergamotöl und anderen starken Wohlgerüchen imprägnierten Salben in großen Schüsseln herbei. Heute durcheilt man in einem Tage die wasserleere Strecke auf der Eisenbahn und dem Luxuszuge, dessen Komfort von manchen der Reisenden als die größte Merkwürdigkeit des Sudan angesehen wird, fehlt nicht einmal die eisgekühlte Badeeinrichtung.

Allgemeiner und bei hoch und niedrig weit verbreiteter ist der alltägliche Gebrauch von Butter, Öl und Fett im Naturzustande, zum Salben des Haupthaares. Ein überaus üppiger Haarschmuck macht bei diesen Völkern jede Art Kopfbedeckung überflüssig. Ein reichliches Einfetten desselben aber vermehrt offenbar den Schutz, den das Haar gegen den Sonnenbrand gewährt. Ausgelassene und geklärte Butter (Schmalz), rohes Hammelfett und Rizinusöl liefern innerhalb der erythräischen Region die hauptsächlichste Haarsalbe, ja man kann gewissermaßen je nach dem vorwiegenden Gebrauch der einen oder der anderen Substanz ganze Länderstrecken voneinander unterscheiden. Südarabien wird dem europäischen Besucher durch den penetranten Geruch von ranziger Butter, der den Bewohnern anhaftet, arg verleidet. Die hamitischen Nachbarn auf der anderen Seite des Roten Meeres geben dem frischen Hammelfett den Vorzug, aber auch diese Haarsalbe erzeugt, allerdings ein geringeres Übel, überall wo Menschen weilen, einen untilgbaren Bockgeruch. In Abessinien wird mit Vorliebe Rizinusöl zum Einfetten des Haares verwandt. Sein Zersetzungsprodukt ist von üblem, undefinierbarem Geruch. Aber wir müssen in betreff der Gerüche diesen Völkern gegenüber Nachsicht üben, denn auf keinem Gebiete bekunden die menschlichen Sinne, dank der Macht der Gewohnheit, ein größeres Anpassungsvermögen als auf diesem. Der Trangeruch im Norden bildet ein Seitenstück zur ranzigen Butter von Arabien, und was die Mundpflege anlangt, werden wir Europäer durch die natürliche Zahnsauberkeit der von Hammeltalg triefenden Hamiten arg beschämt.

Bei den alten Ägyptern scheint das Salben des Haupthaares, namentlich bei den Frauen, eine sehr wichtige Angelegenheit gewesen zu sein. Auf den ihr häusliches Leben zur Darstellung bringenden Bildern sehen wir reich geputzte Damen, die auf der Höhe ihres blumengeschmückten Scheitels einen als Kegel oder als Halbkugel (manchmal rot) gezeichneten Körper tragen. Diesen hat Erman in seinem das ägyptische Leben im Altertum meisterhaft schildernden Werke als »Salbkegel« bezeichnet, und auf der beigefügten Wiedergabe eines alten Bildes erkennt man deutlich an dem kegelförmigen Gegenstande nach abwärts gezogene Ringellinien, die offenbar eine Rieselung des schmelzenden Körpers zum Ausdruck bringen sollen. Die Bedeutung des fraglichen Körpers ist neuerdings wieder Gegenstand einer wissenschaftlichen Kontroverse geworden, und abermals tritt bei dieser Gelegenheit die Zusammenhanglosigkeit der einzelnen Disziplinen zutage, die unserer Zeit eigentümlich ist. Denn ohne voneinander Notiz zu nehmen, laufen, wie mit Scheuklappen versehen, die verschiedenen Richtungen auf engbegrenzter Bahn nebeneinander her. Bereits vor Jahren hatte unser unvergeßlicher Virchow sein Bedauern darüber ausgedrückt, daß die Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte seit Heinrich Brugschs Tode jede Fühlung mit der Ägyptologie verloren hätte. Es war nicht der ersteren Schuld. Heute fände Virchow Veranlassung, seiner Klage erneuten Ausdruck zu verleihen.

Bald fünfzig Jahre sind es her, daß den Besuchern des Zoologischen Gartens in Berlin Gelegenheit geboten wurde, sich von der Art der Herstellung des erwähnten »Salbkegels« durch eigene Anschauung zu überzeugen. Damals hatte Hagenbeck eine Karawane von 32 »Nubiern«, d. h. Bewohner Nubiens, nebst Zubehör zur Schau gestellt, und unter ihnen befanden sich nicht weniger als 28 echte Vertreter des äthiopischen Hamitentums, der Mehrzahl nach Bega von den Stämmen der Ababde, Hadendoa, Beni-Amr und Halenga. Virchow hat im 10. Bande seiner Zeitschrift über diese schönen Volkstypen mit erschöpfender Gründlichkeit berichtet. Von aktuellem Interesse ist ferner der Aufschluß, den Virchow in der Novembersitzung 1878 über die Herstellung der Haarsalbe erteilte, indem er mit besonderer Ausführlichkeit Vorgänge beschrieb, die sich der Betrachtung eines jeden Reisenden in Nubien häufig aufgedrängt haben, die aber meines Wissens niemand mit gleicher Gründlichkeit zur Anschauung gebracht hat.

Das zur Verwendung kommende Fett von Schafen wird roh und ungeschmolzen in Gebrauch genommen, aber erst nachdem ihm durch energisches Kauen ein lockeres, etwas schwammig-schaumiges Gefüge zuerteilt worden ist. Dem rohen Fett wird vor dem geschmolzenen der Vorzug gegeben, erstens aus dem Grunde, weil es in diesem Zustande bei starker Wärme einem völligen Zerfließen widerstrebt, dann aber auch, wegen der Steifigkeit, die es dem auf der Scheitelhöhe zu üppiger Wolke aufgelösten und in die Höhe starrenden Haarschopf (toupet) erteilt, andererseits auch den an den Schläfen und am Nacken herabhängenden Haartroddeln die erforderliche Selbständigkeit verleiht. Um aber der Haarsalbe zugleich auch ein nur allmähliches Zerfließen zu gestatten und ein gleichmäßiges Herabrieseln über Kopf und Nacken, wird eben das rohe Fett zuvor gründlichst durchgekaut. Ungekautes Fett würde auch bei stärkster Sonnenglut dick bleiben, andernfalls das am Feuer ausgelassene wiederum zu schnell zerrinnen. Die durchgekaute Masse ist schneeweiß und erinnert an eine Art Schaumtorte von Schlagsahne. Virchow hat genau beschrieben, wie aus dem Munde des Kauenden ein zungenförmiger Klumpen herausgestoßen wird, der am hintern Ende eine konkave Basis und an den Seiten die von Zähnen herrührenden Eindrücke zu erkennen gibt. Dieser Klumpen, der »Salbkegel« der Ägyptologen, von dem damals sogar Gipsabdrücke angefertigt worden sind, wird nun mitten auf den meist kugelrunden Haarschopf der Männer gesetzt. Die Tropensonne bewirkt das Zerschmelzen und Herabrieseln.

Die geschilderte männliche Haartracht ist zunächst bei den nicht arabisierten Ababde und bei allen Bischarin, Hadendoa, Hallenga und Beni-Amr die nämliche. Im Prinzip entspricht auch der Haarputz der Somal dem geschilderten, obgleich derselbe ein weit mannigfaltiger gestalteter, auch die bei ihm verwandten kosmetischen Mittel weit verschiedenartigere zu sein pflegen, als das bei den nördlichen Hamiten der Fall ist. Nirgends hat man bessere Gelegenheit, diesen stolzen Haaraufbau in seiner höheren Vollendung zu bewundern, als in der großen aus den Hüttenlagern halbansässiger Nomaden bestehenden Vorstadt Gef von Suakin. Von der heutigen Haartracht der meisten Bega-Völker findet sich unter den altägyptischen Darstellungen keine, die völlige Übereinstimmung verrät, und das berechtigt zu der Annahme, daß selbst unter den Nachkommen der alten Troglodyten und Ichthyophagen (den Bischarin und Ababde), den konservativsten aller Völker, die wechselnde Mode, wenn auch jedesmal für sehr lange Zeiträume, ihre Geltung bewahrt hat. Das kunstvolle Haargeflecht und die Zergliederung in unzählige feine Schnüre, in Zöpfchen und Flechten, wie wir sie so häufig auf altägyptischen Darstellungen wiedergegeben finden, entspricht eher der heutigen Tracht der arabischen oder von Arabern abstammenden Nomadenstämme des östlichen Sudan als derjenigen echter Bega-Stämme. Bei den Frauen ist aber das feingegliederte Flechtwerk die vorherrschende Regel, sowohl bei Bega als auch bei den Arabern und arabisierten Hamiten, und hier ergibt sich eine überraschende Übereinstimmung mit den alten Damenbildern der ägyptischen Grabgemälde. Aber den heutigen Damen im Hamitenlande scheint der Salbkegel auf dem Scheitel zu fehlen, ich wenigstens habe einen solchen immer nur bei Männern wahrzunehmen Gelegenheit gehabt. Inzwischen ist freilich der gestrenge Islam ins Land eingezogen, und die wirklichen Damen, die sich ehedem den bewundernden Blicken des Straßenpublikums preisgeben durften, sind jetzt im Kreise der Ihrigen, im Innern der Mattenzelte und hinter Dornhecken und Strohzäunen verborgen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Afrikanisches Skizzenbuch