Aegypten als Vasallenstaat Englands

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1921
Autor: Herrmann, F., Erscheinungsjahr: 1921

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Enthaltene Themen: Ägypten, England, Kolonie, Tempelruinen, Königsgräber, Pyramiden, Nil, Staudamm, Orient, Suezkanal,
Man hat Ägypten das Land der unvermittelten Gegensätze genannt. Neben Denkmalen geschichtlicher Epochen, die Jahrtausende vor Beginn der neuen Zeitrechnung zurückliegen, stehen Schornsteine moderner Industrieanlagen, dicht bei Tempelruinen und Königsgräbern entlegenster Vorzeit Spinnereien, Webereien und Geschäftsgebäude großer Weltfirmen. Noch bearbeitet der Fellah den Acker mit primitivem Hakenpflug, während unweit davon der moderne Dampfpflug intensivste Arbeit verrichtet. Noch heute quälen sich dort Menschen im regenarmen Land, mittels Schöpfrädern Wasser aus dem Nil höheren und von den fruchtbaren Uferstreifen abgelegenen Landesteilen zuzuführen. Und dasselbe Ägypten hat in der Nilsperre bei Assuan eine Wasserstauvorrichtung, wie sie auf dem Erdenrund nicht ihresgleichen findet. Dichtbevölkerte Großstädte an der Küste, menschenleere endlose Wüsteneien im Innern. Nicht minder schroff sind die Gegensätze zwischen den Orientalen und den Fremdländern westeuropäischer Kultur, die trotzdem zahlreicher in der Oberschicht vertreten sind als die Eingeborenen. Noch sind etwa neunzig Prozent der letzteren Analphabeten, und doch kommen die Gelehrten Europas, um die Schätze uralter Weisheit und Schönheit nicht etwa nur als Merkwürdigkeit zu studieren, nein, auch von ihnen zu lernen.

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. Solche Ausblicke auf Zunehmenden geistigen Austausch Zwischen Orient und Okzident, Gedanken, die in Deutschland vor dem Krieg große Hoffnungen erweckten, haben durch den für uns unglücklichen Ausgang des Ringens an Glanz verloren. Deutscherseits hatte man sich von der Erstarkung und nationalistischen Erhebung der Türkei ein Aufblühen auch in dem von englischer Gläubigerverwaltung befreiten Ägypten versprochen. Statt dessen hat der Vertrag von Saures die türkische Selbständigkeit zu einem Schattendasein herabgedrückt und Ägypten, auf das die Briten seit 1882 als Gläubiger des damaligen verschuldeten Sultans ihre Hand gelegt hatten, ganz und gar zu einem Vasallenstaat Albions gemacht. Was besagt die gewährte Autonomie, wenn doch die Finanzen und die Verwaltung des Suezkanals in englischer Hand verbleiben, Alexandria als englische Flottenbasis dient und Großbritannien bedeutende militärische Kontingente in
Ägypten unterhalten kann. Englands Verlangen seit fast einem Jahrhundert und wichtigstes Kriegsziel ist in Erfüllung gegangen: Arabien, Ägypten, die Euphratländer und Vorderasien in ihre Macht zu bringen. Der Weg von London über Kairo—Aden nach Bombay ist frei. England, dessen Minister Palmerston einst nicht müde wurde, die Erbauung des Suezkanals für eine Verrücktheit zu erklären, hat damals gewusst, welche lebenswichtige Bedeutung die Beherrschung dieser geradesten Verbindung von Orient und Okzident hat, und Schritt für Schritt hat es seinen feingesponnenen Plan zu verwirklichen verstanden. Ägypten soll in loserer Form, aber in Wirklichkeit fester als Vasallenstaat dem immer mehr zu einem Staatenbund sich umbildenden englischen Imperium eingefügt werden. Ob die steinernen Denkmale des Pharaonenlandes, die im Lauf von Jahrtausenden schon manche Wandlung in den Machtverhältnissen überdauerten, vielleicht auch dann noch stehen werden, wenn einmal auch Ägypten volle Freiheit und Selbständigkeit haben sollte, das ist heute eine müßige Frage. Hat Deutschland — das ist wichtiger für uns — nun alle Aussicht verloren, in Ägypten wissenschaftlich und wirtschaftlich sich zu betätigen? Nach den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages unterliegt freilich auch in Ägypten das Eigentum deutscher Staatsangehörigen dem Liquidationsverfahren. Und dennoch: trotz der Verluste und trotz der nachwirkenden Verhetzungs-und Verleumdungskanonade der von der Entente beeinflussten Presse werden sich weder die deutschen Gelehrten noch die deutschen Kaufleute und Techniker dauernd verdrängen lassen. Wohl steht den Franzosen das Verdienst zu, vor hundertzwanzig Jahren, als Napoleon I., der mit politischen Zielen auch wissenschaftliche Bestrebungen klug zu verbinden verstand, einen Stab von Gelehrten mit sich nach Ägypten nahm, mit der eigentlichen wissenschaftlichen Erforschung des sagenumwobenen Pharaonenreiches begonnen zu haben. Dem genialen Champollion glückte die Entzifferung der Hieroglyphenschrift, diese bahnbrechende Entdeckung zur Entschleierung der verhüllten Wahrheit über uralte, herrliche Kulturepochen ägyptischer Geschichte. Ihm folgten aber bald deutsche Gelehrte in stattlicher, nicht einzeln aufzuführender Anzahl von Richard Lepsius und dem verdienten Heinrich Brugsch, Bunsen, Ebers bis zu Woenig und Steindorff in neuerer Zeit. Die bedeutendste Ausgrabung von deutscher Seite wurde im Auftrag der Deutschen Orientgesellschaft unter Leitung von Ludwig Borchardt, dieses genialen, als Architekt wie als Ägyptologe gleichberühmten Mannes, in Abusir und Tell-el-Amarna vorgenommen. Wichtige Perioden ägyptischer Vergangenheit, vor allem die Epoche des großen Sonnenkönigs Amenophis IV., sind durch die Ergebnisse dieser Forschertätigkeit aufgehellt. Aber auch die Sprache der alten Hettiter, koptische Kunst und altägyptisches Kunstgewerbe sind durch deutsche Gelehrte dem Verständnis unserer Zeitgenossen zugänglich gemacht worden. Im Schulwesen war es schwer, gegen die alteingesessene Kulturmacht Frankreich aufzukommen. Trotzdem hatte die kleine, kaum zweitausend Mitglieder zählende deutsche Kolonie 6 Schulen mit 63 Lehrern und 1.128 Schülern vor dem Krieg, Frankreich freilich 115 Schulen, 1.287 Lehrer und 22.175 Schüler, während England, das doppelt so viel Angehörige in Ägypten wohnen hatte als der französische Staat, nämlich mehr als 23.600, nur 37 Schulen, 182 Lehrer und 2636 Schüler dort besaß. England lag eben stets mehr an der wirtschaftlichen Ausnützung als an der kulturellen Hebung der Einwohner. Da das Gesundheitswesen Ägyptens bis in die Neuzeit sehr im Argen lag — die Zahl der Blinden belief sich auf mehr als 150.000 —, mussten Wohltätigkeitsinstitute helfend eingreifen. Die beiden deutschen Hospitäler in Kairo und Alexandria standen in hohem Ansehen. Ebenso war es dem deutschen Handel gelungen, obwohl er gegen England einen schweren Stand hatte, sich einen ehrenvollen Platz zu erarbeiten. Die Einfuhr stieg in den Jahren 1889 bis 1911 von 5 Prozent aus 55 Prozent, die Ausfuhr erhöhte sich auf 109 Prozent im gleichen Zeitabschnitt. Wenn auch Großbritannien mit 500 Millionen Mark dem deutschen Handel noch um das Fünffache überlegen war, so sah sich doch schon der französische Konkurrent überflügelt. Deutschland war nächst England der beste Kunde Ägyptens. Allein für 80 Millionen Mark Baumwolle wurde von deutschen Firmen bezogen. Die deutsche Levantelinie schickte jährlich gegen hundert Schiffe nach dem Nilland, eine Reihe bedeutender Handelshäuser hatte sich — voran die Deutsche Orientbank—, schwere Hindernisse überwindend, mit Erfolg eingeführt. Da sich die Gesamtbevölkerung Ägyptens seit hundert Jahren versechsfacht hat und setzt etwa dreizehn Millionen beträgt, waren die Absatzaussichten bei dem unbestreitbaren wirtschaftlichen Aufschwung wachsend günstig. Außer dem Hauptstapelartkel Baumwolle wurden hauptsächlich Weizen und Gerste, Mais, Zucker, Zwiebeln, Flachs, Felle, Tabak und Opium, Leinsaat und Datteln ausgeführt, im Ganzen für 773 Millionen im Jahr 1910/1911. Die ägyptischen Zigaretten erfreuen sich bekanntlich, da unter dem Einfluss des trockenen Klimas das Aroma sich besonders gut entwickelt, großer Beliebtheit. Der vortrefflichen Bewässerung der Anbauflächen und der sorgfältigen Kultur der Baumwollpflanze, für die von den Engländern viel aufgewendet wird, war es zu verdanken, dass die Baumwolle Ägyptens die amerikanische an Güte übertraf. Auch die Deutschen hatten, zumal an der guten Verarbeitung, ansehnlichen Anteil. Etwa 85.000 Ballen gingen jährlich nach Deutschland. Die Nachfrage nach deutschen Arzneimitteln und Parfümerien ist schon jetzt wieder rege, ebenso nach Glaswaren, fertigen Kleidungsstücken, Seidenstoffen und Schuhwaren, da die Einwohner, durch den wirtschaftlichen Aufschwung reicher und anspruchsvoller geworden, europäische Gewohnheiten angenommen haben. Und wieviel ist noch zu tun! Im Lande der Paradoxe sind auch heute noch die Gegensätze von reich und arm, dürftigste Behausung in Lehmhütten und Palastbauten, unwürdigste Verkommenheit und verschwenderischer Luxus einer dünnen Oberschicht groß. Wie primitiv ist noch so manche Anlage, noch immer der Lastverkehr auf Kamelen! Wieviel könnten die Technik, wieviel gute Industriewaren zur Hebung beitragen! An Plänen fehlt es den englischen Machthabern nicht. So sollen die Gewässer des oberen Nils so reguliert werden, dass die landwirtschaftliche Bebauung nicht nur des ägyptischen Stromgebiets, sondern auch des weiten noch öden Sudans in weitestem Umfang möglich werden könnte. Da die bisherige britische Kommission unbefriedigend gearbeitet hat, wird jetzt ein internationaler Ausschuss eingesetzt. Sollte bei der Ausführung des großen Unternehmens nicht auch für Deutsche Platz sein? Eine Eisenbahn vom Kap nach Kairo ist geplant, die unter Verwendung von Trajekten auf den großen Seen Zentralafrikas ein viel billigeres Verkehrsmittel werden soll, als wenn die Strecke nur als Schienenweg ausgebaut würde. Man rechnet mit 3 1/2 Millionen Pfund Ersparnis bei der Anlage. Die Zukunft Ägyptens wird zum mindesten auf lange Zeit durch die englische Abhängigkeit, aber auch durch die treibenden Kräfte britischen Erschließungseifers bestimmt sein. Ob für die deutsche Wissenschaft, Technik und Handel in absehbarer Zeit bessere Betätigungsmöglichkeiten gelassen werden als jetzt in dem Boykott, ob die Orientfragen durch die neuesten Abmachungen eine abschließende Lösung finden werden, oder ob nicht das erzwungene Ende der Anfang neuer Umwälzungen sein wird, liegt noch im Nebel der Ungewissheit.

Der Felsentempel von Abu Simbel.
Die große Sphinx von Gizeh.
Feldbestellung im heutigen Ägypten mit dem primitiven Hakenpflug.
Die Ibrahim-Agha-Moschee in Kairo. Phot. O. Friedrich, Wien.
Die Gasse der Kupferschmiede in Kairo. Phot. O. Friedrich, Wien.
Die Großmoschee des Sultans Barkûk in Kairo. Phot. Georg Haeckel, Berlin-Lichterfelde.
Straßenbild aus einem Basarviertel in Kairo. Phot. Georg Haeckel, Berlin-Lichterfelde.
Wasserträgerinnen am Strande des Nils. Phot. Georg Haeckel, Berlin-Lichterfelde.
Limonadenverkäufer in Kairo. Phot. Georg Haeckel, Berlin-Lichterfelde.

Ägypten, 01 Die große Sphinx von Gizeh.

Ägypten, 01 Die große Sphinx von Gizeh.

Ägypten, 02 Der Felsentempel von Abu Simbel.

Ägypten, 02 Der Felsentempel von Abu Simbel.

Ägypten, 03 Feldbestellung im heutigen Ägypten mit dem primitiven Hakenpflug.

Ägypten, 03 Feldbestellung im heutigen Ägypten mit dem primitiven Hakenpflug.

Ägypten, 04 Die Ibrahim-Agha-Moschee in Kairo. Phot. O. Friedrich, Wien.

Ägypten, 04 Die Ibrahim-Agha-Moschee in Kairo. Phot. O. Friedrich, Wien.

Ägypten, 05 Die Gasse der Kupferschmiede in Kairo. Phot. O. Friedrich, Wien.

Ägypten, 05 Die Gasse der Kupferschmiede in Kairo. Phot. O. Friedrich, Wien.

Ägypten, 06 Die Großmoschee des Sultans Barkûk in Kairo. Phot. Georg Haeckel, Berlin-Lichterfelde.

Ägypten, 06 Die Großmoschee des Sultans Barkûk in Kairo. Phot. Georg Haeckel, Berlin-Lichterfelde.

Ägypten, 07 Straßenbild aus einem Basarviertel in Kairo. Phot. Georg Haeckel, Berlin-Lichterfelde.

Ägypten, 07 Straßenbild aus einem Basarviertel in Kairo. Phot. Georg Haeckel, Berlin-Lichterfelde.

Ägypten, 08 Wasserträgerinnen am Strande des Nils. Phot. Georg Haeckel, Berlin-Lichterfelde

Ägypten, 08 Wasserträgerinnen am Strande des Nils. Phot. Georg Haeckel, Berlin-Lichterfelde

Ägypten, 09 Limonadenverkäufer in Kairo. Phot. Georg Haeckel, Berlin-Lichterfelde.

Ägypten, 09 Limonadenverkäufer in Kairo. Phot. Georg Haeckel, Berlin-Lichterfelde.

Ägypten, auf dem Markt in Kairo

Ägypten, auf dem Markt in Kairo

Ägypten, Mameluckengräber bei Kairo

Ägypten, Mameluckengräber bei Kairo