Wie man über Nacht ein Land zur Wüste macht

Nach dieser Oryxjagd hatte der Buschmann eine lange Unterredung mit Oberst Everest. Nach Mokums, auf beweisenden Tatsachen ruhender Meinung, wurde die kleine Truppe verfolgt, ausgespäht und folglich bedroht. Hatten die Makololos sie noch nicht angegriffen, so lag der Grund darin, daß es ihnen paßte, sie mehr nach Norden zu ziehen, in die eigentliche von ihren Räuberhorden durchstreifte Gegend.

Sollte man nun, angesichts der Gefahr, umkehren? Sollte man die Fortsetzung der bisher so bedeutend fortgeschrittenen Arbeit unterbrechen? Was die Natur nicht vermocht hatte, sollte dies den afrikanischen Wilden gelingen? Sollten diese die englischen Gelehrten an der Erfüllung ihrer wissenschaftlichen Aufgabe verhindern? Das war eine ernsthafte Frage, und es kam viel darauf an, sie zu lösen. Oberst Everest bat den Buschmann, ihm alles zu erzählen, was er von den Makololos wisse, und hierauf teilte er ihm das Wesentlichste mit.


Die Makololos gehören dem großen Stamm der Bechuanas an und sind die letzten, die man in der Richtung nach dem Äquator antrifft. Dr. David Livingstone wurde im Jahr 1850 auf seiner ersten Reise an den Zambesi in Sesheke, der gewöhnlichen Residenz Sebituanes, des damaligen Oberhaupts der Makololos, aufgenommen. Dieser Eingeborene war ein gefürchteter Krieger, der im Jahr 1824 die Grenzen des Kaplandes bedrohte. Sebituane, ein Mann von großer Einsicht, erlangte allmählich einen beherrschenden Einfluß auf die im Innern Afrikas zerstreuten Stämme, und es gelang ihm, sie zu einer festen und herrschenden Gruppe zu vereinigen. Im Jahr 1853, also im vergangenen, starb er in den Armen Livingstones, und sein Sohn Sekeletu folgte ihm.

Sekeletu zeigte anfangs gegen die den Zambesi besuchenden Europäer eine ziemlich lebhafte Neigung. Dr. Livingstone hatte sich persönlich nicht zu beklagen. Doch änderte sich nach der Abreise des berühmten Reisenden das Benehmen des afrikanischen Königs auffallend. Nicht allein die Reisenden, sondern auch die benachbarten Eingeborenen wurden hauptsächlich von Sekeletu und den Kriegern seines Stammes feindselig behandelt. Bald folgten Räubereien in immer weiterem Umfang. Die Makololos durchstreiften das zwischen dem Ngamisee und dem oberen Lauf des Zambesi gelegene Land.

Es war höchst bedenklich für eine auf wenige Mann geschmolzene Karawane, sich in diese Gegend zu wagen, zumal wenn sie angekündigt, erwartet und wahrscheinlich im voraus einem sicheren Untergang bestimmt war.

Dies war im ganzen der Inhalt der Warnung des Buschmanns. Er fügte hinzu, er glaube, ihm die Wahrheit vollständig sagen zu müssen. Doch werde er seinerseits den Befehlen des Oberst nachkommen und nicht zurückweichen, wenn man entschlossen sei, vorwärts zu gehen.

Der Oberst beratschlagte mit seinen beiden Kollegen, und es wurde festgesetzt, daß man dessenungeachtet mit den Arbeiten fortfahren wolle. Beinah 5 Achtel des Bogens waren schon gemessen, und was auch geschehen mochte, die Engländer seien es sich und ihrem Land schuldig, die Operation nicht aufzugeben.

Nachdem dieser Beschluß gefaßt war, setzte man die trigonometrische Arbeit ununterbrochen fort. Am 27. Oktober durchschnitt die wissenschaftliche Kommission senkrecht den Wendekreis des Steinbocks, und am 3. November, nachdem sie ihr 41. Dreieck vollendet hatte, konstatierte sie durch Zenitalbeobachtungen, daß die Messung des Meridians abermals um 1 Grad fortgeschritten war. Während eines Monats wurde die Messung eifrig fortgesetzt, ohne dabei auf ein natürliches Hindernis zu stoßen. In diesem schönen, so günstig gelegenen Land, das nur von Bächen, die man durchwaten konnte, und nicht von bedeutenden Gießbächen durchzogen ist, operierten die Astronomen schnell und gut. Mokum, stets achtsam auf der Lauer, untersuchte sorgfältig die Spitze und die Seiten der Karawane und gestattete den Jägern nicht, sich davon zu entfernen. Indes schien keine augenblickliche Gefahr die Truppe zu bedrohen, und es war leicht möglich, daß die Befürchtungen des Buschmanns sich nicht erfüllten. Wenigstens zeigte sich während des November keine plündernde Bande, und man fand keine Spur mehr von dem Eingeborenen, der der Expedition von dem Dolmen im verbrannten Wald an so hartnäckig gefolgt war. Dennoch bemerkte der Jäger, obwohl die Gefahr für den Augenblick fern zu sein schien, wiederholt Zeichen der Besorgnis unter den seinem Befehl anvertrauten Buschmännern. Man hatte die beiden Vorfälle am Dolmen und auf der Oryxjagd nicht geheimhalten können. Sie versahen sich eines unvermeidlichen Zusammenstoßes mit den Makololos. Nun sind aber die Makololos und Boschjesmen zwei Stämme von unbarmherziger Feindseligkeit gegeneinander. Die Besiegten hatten vom Sieger keine Gnade zu hoffen, und ihre kleine Anzahl, die seit der Kriegserklärung um die Hälfte vermindert war, mußte gerade diese Eingeborenen erschrecken. Sie sahen sich schon mehr als 300 Meilen von den Ufern des Oranje entfernt, und es handelte sich darum, sie wenigstens noch 200 Meilen weiter nach Norden zu ziehen. Diese Aussicht machte sie bedenklich. Mokum hatte ihnen zwar, als er sie zu dieser Expedition aufforderte, die Länge und Schwierigkeiten der Reise nicht verschwiegen, und sicherlich waren sie Männer, die den von einer solchen Expedition unzertrennlichen Mühseligkeiten zu trotzen verstanden. Sobald sich aber zu den Mühseligkeiten die Gefahren des Zusammenstoßes mit einem blutdürstigen Feind gesellten, änderte dieser Umstand ihre Gesinnung. Deshalb gab es jetzt Klagen, Murren und bösen Willen. Mokum stellte sich zwar, als sehe oder höre er diese nicht, aber es vermehrte doch seine Unruhe über die Zukunft der wissenschaftlichen Kommission. Ein Ereignis im Laufe des 2. Dezember erregte noch mehr die üblen Gesinnungen dieser abergläubischen Buschmänner und rief gewissermaßen eine Art Widersetzlichkeit gegen ihre Anführer hervor. Seit dem vorigen Abend war das bis dahin so schöne Wetter düster geworden. Unter dem Einfluß einer tropischen Hitze zeigte die Atmosphäre, mit Dünsten gesättigt, eine starke elektrische Spannung. Man konnte ein baldiges Gewitter voraussagen, und in diesem Klima entwickeln sich die Gewitter fast immer mit unvergleichlicher Heftigkeit.

In der Tat bedeckte sich der Himmel am Morgen des 2. Dezember mit düsteren Wolken, in denen sich ein Wetterbeobachter nicht getäuscht haben würde. Es war Gewölk wie Baumwollballen übereinandergehäuft, die hier dunkelgrau, dort gelblich gefärbt waren. Die Sonne schien matt, die Luft war ruhig, die Hitze erstickend.

Das seit dem vorhergehenden Abend von den Instrumenten angezeigte Heruntergehen des Barometers hielt damals inne. Kein Blatt an den Bäumen bewegte sich in dieser dumpfen, drückenden Atmosphäre. Die Astronomen hatten den Himmel beobachtet, glaubten aber nicht, ihre Arbeiten unterbrechen zu sollen.

In diesem Augenblick war William Emery, von 2 Matrosen, 4 Eingeborenen und 1 Wagen begleitet, 2 Meilen östlich vom Meridian, um eine Signalstange, die zur Spitze eines Dreiecks bestimmt war, aufzustellen. Er beschäftigte sich damit, sie auf einem Hügel zu errichten, als eine schnelle Verdichtung der Dünste unter dem Einfluß einer kalten Luftströmung die Entwicklung einer bedeutenden Elektrizität veranlaßte. Fast augenblicklich fiel starker Hagel nieder. Diese Hagelkörner waren leuchtend, eine ziemlich selten beobachtete Naturerscheinung, und es war, als ob es glühende Metalltropfen regnete. Wo sie auf den Boden trafen, sprangen Funken empor, und Lichtblitze sprühten aus allen Metallteilen des Wagens, der zum Transport des Materials diente. Bald erreichten diese Hagelkörner einen größeren Umfang. Es war ein ordentlicher Steinregen, dem man sich ohne Gefahr nicht aussetzen konnte. Man wird über die Kraft dieses Naturwunders nicht mehr staunen, wenn man hört, daß Doktor Livingstone bei einer gleichen Gelegenheit in Kolobeng gesehen hat, wie die Fensterscheiben im Missionshaus zertrümmert und Pferde und große Antilopen durch solche Hagelkörner getötet wurden.

Ohne einen Moment zu verlieren, verließ William Emery seine Arbeit und rief seine Leute zusammen, um in dem Wagen ein weniger gefährlicheres Unterkommen zu finden, als unter einem Baum während eines Gewitters. Kaum hatte er jedoch den Hügel verlassen, als ein blendender Blitzstrahl, von einem Donnerschlag begleitet, die Atmosphäre entzündete.
William Emery wurde wie tot zu Boden geworfen. Die beiden einen Augenblick geblendeten Matrosen stürzten zu ihm hin. Glücklicherweise war der junge Astronom vom Blitz verschont geblieben. Durch eine jener fast unerklärlichen Tatsachen, die sich bei manchen Blitzschlägen ereignen, war das Fluidum sozusagen um ihn herum geglitten, ihn in ein elektrisches Tuch hüllend; sein Weg war aber genügend bezeichnet, denn er hatte die Eisenspitzen eines Zirkels, den William Emery in der Hand hielt, geschmolzen.

Der junge Mann, von den Matrosen aufgehoben, kam bald wieder zu sich. Doch war er weder das einzige, noch das am härtesten getroffene Opfer des Schlags gewesen. Neben dem auf dem Hügel errichteten Pfahl lagen zwei der Eingeborenen 20 Schritte voneinander leblos auf dem Boden. Der eine, dessen Lebenssystem durch die Wirkung des Blitzes gänzlich zerstört worden war, zeigte unter seinen unberührt gebliebenen Kleidern einen kohlschwarzen Körper.

Der andere, durch das atmosphärische Meteor am Schädel getroffen, war augenblicklich getötet worden!

So waren diese drei Männer – die beiden Eingeborenen und William Emery – zur gleichen Zeit von einem einzigen dreizackigen Blitzstrahl getroffen worden. Eine seltene, doch zuweilen wahrgenommene Naturerscheinung der Dreiteilung eines Blitzes, dessen Winkelabweichung oft beträchtlich ist.

Die Buschmänner, die anfangs durch den Tod ihrer Kameraden vor Schrecken gelähmt waren, ergriffen bald die Flucht, ungeachtet des Geschreis der Matrosen und auf die Gefahr, vom Blitz erschlagen zu werden, indem sie durch ihr schnelles Laufen die Luft hinter sich verdünnten. Aber sie hörten nicht darauf und liefen, so hastig sie konnten, ins Lager zurück.

Die beiden Matrosen trugen William Emery in den Wagen, legten die Körper der Eingeborenen hinein und suchten ebenfalls Schutz darin, da sie von den Hagelkörnern, die wie ein Steinregen herniederfielen, schon voll Quetschungen waren. Eine Dreiviertelstunde lang grollte das Gewitter mit äußerster Heftigkeit; dann fing es an nachzulassen. Der Hagel hörte auf und der Wagen konnte ins Lager zurückfahren. Die Nachricht vom Tod der beiden Eingeborenen war ihm vorausgeeilt. Sie machte einen beklagenswerten Eindruck auf das Gemüt der Buschmänner, die auf die trigonometrischen Operationen, von denen sie nichts zu begreifen vermochten, mit abergläubischem Schrecken sahen. Sie beratschlagten insgeheim miteinander, und einige von ihnen, die mehr herabgestimmt waren als die übrigen, erklärten, sie würden nicht weiter mitgehen.

Es war der Anfang einer Meuterei, die eine bedenkliche Ausdehnung anzunehmen drohte. Es bedurfte des ganzen Einflusses, den der Buschmann bei ihnen genoß, um diesem Aufstand Einhalt zu tun. Oberst Everest mußte vermitteln und den armen Leuten eine Lohnerhöhung versprechen, um sie in seinem Dienst zu behalten.

Das Einverständnis kam nicht ohne Mühe zustande. Man widerstand, und die Zukunft der Expedition stand ernstlich auf dem Spiel. Was sollte wohl aus den Mitgliedern der Kommission mitten in dieser Wüste werden, entfernt von jedem Dorf, ohne Begleitung zu ihrem Schutz, ohne Führer für ihre Wagen. Endlich wurden alle Schwierigkeiten überwunden, und nach Beerdigung der beiden Eingeborenen hob man das Lager auf, und die kleine Truppe zog dem Hügel zu, auf dem zwei der ihrigen den Tod gefunden hatten.

William Emery hatte mehrere Tage hindurch an dem erhaltenen Schlag zu leiden. Seine linke Hand, in der er den Zirkel gehalten hatte, blieb eine Zeitlang wie gelähmt; endlich aber verschwand diese Unbequemlichkeit, und er konnte seine Arbeit wieder aufnehmen.

Während der folgenden 18 Tage, bis zum 20. Dezember, trat kein auffallender Zwischenfall ein, der den Zug der Karawane gehemmt hätte. Die Makololos zeigten sich nicht, und Mokum, so mißtrauisch er war, fing an sich zu beruhigen. Man war nur noch 50 Meilen von der Wüste entfernt, und dieser Karrou blieb, was er bis dahin gewesen, eine prachtvolle Gegend, deren Pflanzenleben, getränkt durch die reichlichen Gewässer seines Boden nicht seinesgleichen auf dem Erdball fand. Man konnte also damit rechnen, daß es bis zur Wüste hin in dieser fruchtbaren und wildreichen Region weder den Menschen noch den Saumtieren, die bis an die Brust in der fetten Weide gingen, an Nahrung fehlen würde. Man rechnete jedoch ohne die Heuschrecken, deren Erscheinen in Südafrika eine immer drohende Heimsuchung für die Anstalten des Landbaus ist.

Am Abend des 20. Dezember, ungefähr 1 Stunde vor Sonnenuntergang, war das Lager aufgeschlagen. Die drei Engländer und der Buschmann saßen am Fuß eines Baums, ruhten sich von der Tagesanstrengung aus und plauderten von ihren Zukunftsplänen. Der Nordwind, der sich etwas erhob, erfrischte ein wenig die Atmosphäre.

Die Astronomen waren übereingekommen, in dieser Nacht Sternhöhen aufzunehmen, um genau den Breitengrad des Ortes zu berechnen. Keine Wolke bedeckte den Himmel; es war beinah Neumond; die Gestirne mußten glänzend sein und demzufolge konnte es nicht fehlen, daß man die Zenitalbeobachtungen unter den günstigsten Verhältnissen machen würde.

Deshalb waren Sir John und der Oberst sehr betroffen, als gegen 8 Uhr William Emery aufstand und nach Norden zeigend sagte:

»Der Horizont bedeckt sich, und ich fürchte, die Nacht wird uns nicht so günstig sein, wie wir hofften.«

»Wirklich«, antwortete Sir John, »diese große Wolke hebt sich merklich und mit dem frischen Wind wird sie bald den Himmel überzogen haben.«

»Ist denn ein neues Unwetter im Anzug?« fragte der Oberst.

»Wir sind in der Region zwischen den Tropen«, erwiderte William Emery, »und deshalb ist es zu befürchten! Ich glaube, unsere Beobachtungen sind für diese Nacht zu gewagt.«

»Was halten Sie davon, Mokum«, fragte der Oberst den Buschmann.

Der Buschmann schaute aufmerksam nach Norden. Die Wolke zeichnete sich in einer sehr langen Kurve so genau ab, als ob sie mit dem Zirkel gezogen sei. Der Kreisausschnitt, den sie am Horizont beschrieb, betrug einen Umfang von 3 bis 4 Meilen. Diese wie Rauch schwärzliche Wolke hatte ein sonderbares Aussehen, worüber der Buschmann stutzte. Zuweilen beleuchtete die untergehende Sonne sie mit rötlichen Reflexen, die sie widerstrahlte wie eine feste Masse und nicht wie eine Anhäufung von Dünsten.

»Eine sonderbare Wolke«, sagte Mokum, ohne sich jedoch näher zu erklären.

Einige Augenblicke später benachrichtigte einer der Buschmänner den Jäger, daß die Pferde, Ochsen und anderen Tiere Zeichen von Unruhe gäben. Sie liefen über die Weideplätze und weigerten sich in die Einzäunung des Lagers zurückzukehren.

»Nun, so laßt sie die Nacht draußen bleiben!« antwortete Mokum.

»Aber die reißenden Tiere?«

»O, die wilden Tiere werden bald zu sehr beschäftigt sein, um auf sie achten zu können.«

Der Eingeborene zog sich zurück. Oberst Everest wollte vom Buschmann die Erklärung dieser sonderbaren Antwort. Doch schien dieser, indem er sich einige Schritte entfernte, gänzlich in die Betrachtung dieses Phänomens vertieft, dessen Natur er augenscheinlich erriet.
Die Wolke näherte sich mit rasender Schnelligkeit. Man konnte bemerken, wie niedrig sie war, und sicherlich war sie höchstens einige hundert Schritt über dem Boden. In das Pfeifen des kälter gewordenen Windes mischte sich ein starkes Rauschen, das aus der Wolke selbst zu kommen schien!

In diesem Augenblick erschien oberhalb der Wolke am blassen Himmelsgrund ein Schwarm schwarzer Punkte. Diese bewegten sich von unten nach oben, indem sie in die dunkle Masse tauchten und sofort sich wieder daraus entfernten. Man konnte sie nach Tausenden zählen.

»Ei! Was sind das für schwarze Punkte?« fragte Sir John Murray.

»Das sind Vögel«, antwortete der Buschmann. »Geier, Adler, Falken, Weiher. Sie kommen von fern und folgen dieser Wolke, die sie erst wieder verlassen, wenn sie sich aufgelöst hat oder zerstört wurde.«

»Doch diese Wolke?«

»Das ist keine Wolke«, erwiderte Mokum, indem er die Hand nach der schwarzen Masse, die bereits ein Viertel des Himmels einnahm, ausstreckte, »das ist ein lebendiges Gewölk, eine Heuschreckenwolke.«

Der Jäger täuschte sich nicht; die Europäer sollten einen der schrecklichen, leider nur zu häufigen Einfälle jener Tiere erleben, die oft in einer einzigen Nacht das fruchtbarste Land in eine wüste, dürre Gegend verwandeln. Diese Wanderheuschrecken, Geschlecht der Säbeltiere, von Naturforschern grylli devastatorii genannt, waren milliardenweise im Anzug. Es gibt Reisende, die ein Uferland in einer Länge von 50 Meilen bis zu 4 Fuß hoch mit diesen Insekten bedeckt gesehen haben.

»Ja«, begann der Buschmann wieder, »diese lebendigen Wolken sind für die Felder eine fürchterliche Geißel, und Gott gebe, daß sie uns nicht allzuviel Schaden zufügen!«

»Doch haben wir hier keine besäten Felder, noch Weideplätze, die uns gehören. Was haben wir von diesen Insekten zu befürchten?«

»Nichts, wenn sie nur über uns fortziehen, alles, wenn sie sich auf dem Land niederlassen, das wir zu passieren haben. Dann bleibt kein Blatt mehr auf den Bäumen, kein Grashalm auf den Wiesen, und Sie vergessen, Herr Oberst, wenn auch für unsere Nahrung gesorgt ist, so doch nicht für die unserer Pferde, Ochsen und Maultiere. Was sollte wohl aus ihnen auf diesen verheerten Weideplätzen werden?«

Die Gefährten des Buschmanns beobachteten eine Weile schweigend die belebte Masse, die zusehends wuchs. Das Rauschen verdoppelte sich, übertönt von dem Geschrei der Adler und Falken, die, sich auf den unerschöpflichen Schwarm stürzend, die Insekten zu Tausenden verschlangen.

»Glauben Sie, daß sie sich hier niederlassen werden?« fragte William Emery Mokum.

»Ich fürchte es«, antwortete der Jäger. »Der Nordwind treibt sie direkt hierher. Jetzt verschwindet die Sonne, und die kühle Abendluft ermattet die Flügel der Heuschrecken. Sie werden sich auf den Bäumen, den Büschen, den Wiesen niederlassen, und dann . ..«

Der Buschmann hatte noch nicht ausgeredet, als sich seine Voraussage schon erfüllte. Im Nu ließ sich die ungeheure Wolkenmasse auf die Erde nieder. Man sah nur noch eine wimmelnde, dunkle Masse rings um das Lager, bis an die Grenzen des Horizonts. Selbst der Lagerplatz wurde buchstäblich überschwemmt. Die Wagen, Zelte, alles verschwand unter diesem lebendigen Hügel. Die Menge der Heuschrecken maß 1 Fuß hoch. Die Engländer, die bis zur Hälfte des Beins in dieser dichten Heuschreckenschicht wateten, zertraten sie bei jedem Schritt zu Hunderten. Doch was machte dies bei der Menge aus?

Es fehlte indessen nicht an Gelegenheiten zur Vernichtung dieser Insekten. Die Vögel stürzten sich mit heiserem Geschrei auf sie und verschlangen sie gierig. Von unten vertilgten Schlangen diesen Leckerbissen in ungeheuren Massen. Die Pferde, Ochsen, Maultiere, Hunde, sättigten sich mit unsäglichem Behagen an ihnen. Das Wild der Ebene, die reißenden Tiere, wie Löwen, Hyänen, Elefanten, Rhinozerosse, ließen scheffelweise diese Insekten ihren Schlund hinabgleiten. Ja, sogar die Buschmänner, die große Liebhaber dieser »Luftkrabben« sind, verspeisten sie wie himmlisches Manna! Ihre große Menge indes spottete jeder Art Vernichtung, sogar ihrer eigenen Gefräßigkeit, denn sie verzehren sich untereinander.

Auf dringende Einladung des Buschmanns kosteten die Engländer von dieser Nahrung, die vom Himmel fiel. Man ließ einige tausend Heuschrecken, mit Salz, Pfeffer und Essig gewürzt, kochen, wobei man Sorge trug, die jüngsten auszuwählen, die grün und nicht gelblich, deshalb weniger zäh als die alten sind, von denen manche 4 Zoll messen. Die jungen Tiere, so stark wie ein Federkiel, 15 bis 20 Linien lang, werden, wenn sie ihre Eier noch nicht abgelegt haben, von Liebhabern wirklich als ein köstliches Gericht angesehen. Nachdem sie eine halbe Stunde gekocht worden waren, setzte der Buschmann den Engländern ein appetitliches Gericht Heuschrecken vor. Man fand diese, gleich den Seekrabben vom Kopf, Füßen und Flügeln befreiten Insekten sehr saftig, und Sir John, der allein einige Hundert aß, empfahl den Leuten, ungeheure Vorräte davon zu sammeln. Man brauchte sich ja nur danach zu bücken!

Als die Nacht kam, suchte jeder sein gewöhnliches Lager auf. Aber auch die Wagen waren dem feindlichen Einfall nicht entgangen. Es war unmöglich, hineinzukommen, ohne auf unzählige dieser Insekten zu treten. Unter solchen Verhältnissen war das Schlafen nicht sehr angenehm, und da der Himmel klar war und die Sterne am Firmament glänzten, verbrachten die Astronomen die Nacht damit, Sternhöhen aufzunehmen. Das war jedenfalls besser, als sich bis zum Hals in ein Heuschreckenbett zu legen. Wie hätten die Europäer auch einen Augenblick Ruhe finden können, während die Ebene und die Wälder vom Geheul der reißenden Tiere widerhallten, die zu dem Festmahl der Heuschrecken herbeieilten.

Am folgenden Morgen ging die Sonne am völlig klaren Horizont auf und begann ihren Tageslauf an einem glänzenden Himmel, der einen heißen Tag versprach. Ihre Strahlen hatten bald die Temperatur erhöht, und man vernahm ein dumpfes Schwirren aus dem Schwarm der Heuschrecken, die sich anschickten, weiterzufliegen und ihre Zerstörung anderswohin zu tragen. Gegen 8 Uhr morgens war es, als ob sich ein ungeheurer Schleier entrolle, den Himmel verhülle und das Sonnenlicht verdunkle. Die ganze Gegend wurde düster, und man hätte glauben können, es werde wieder Nacht. Dann setzte sich die enorme Wolke, vom frischen Wind getrieben, in Bewegung. 2 Stunden lang zog sie mit betäubendem Geschwirr über das in Dunkelheit versetzte Lager hin und verschwand endlich jenseits des westlichen Horizonts.

Doch als es wieder hell wurde, konnte man sehen, wie sich die Voraussagen des Buschmanns vollständig erfüllt hatten. Kein Blatt mehr an den Bäumen, kein Grashalm auf den Wiesen. Alles war verheert; der Erdboden sah gelb und fahl aus. Die entblätterten Äste boten den Augen nur noch ein schauerliches Schattenbild dar. Es war blitzschnell auf den Sommer der Winter gefolgt! Es war die Wüste und nicht mehr die Gegend voll üppigem Wachstums. Bei diesen verheerenden Heuschrecken konnte man das orientalische Sprichwort anwenden, das den räuberischen Sinn der Osmanen bezeugt: Wo der Türke über ein Land gezogen, da wächst kein Gras mehr! Wo Heuschrecken auf ein Land niedergefallen sind, da wächst kein Gras mehr!