Die Basis eines Dreiecks

Die geodätische Operation, die die Kommission vorzunehmen beabsichtigte, bestand in einer Triangulation zum Zweck der Messung eines Meridianbogens. Nun wäre die Ausmessung eines oder mehrerer Grade direkt, mit Hilfe metallener Lineale oder Richtscheite, die man eins ans andere legt, in Hinsicht auf mathematische Genauigkeit gänzlich unausführbar. Zudem würde auf keinem Punkt der Erde irgendein Terrain auf eine Strecke von mehreren hundert Meilen hinreichend eben sein, um zur Ausführung einer so mißlichen Operation dienlich sein zu können. Glücklicherweise kann man auf strengere Art zu Werke gehen, indem man das ganze Terrain, das die Meridianlinie durchschneiden soll, in eine gewisse Anzahl »Luftdreiecke« teilt, deren Bestimmung verhältnismäßig einfach ist. Diese Dreiecke erhält man, indem man mittels genauer Instrumente, wie des Theodolits oder der Winkelmeßscheibe, auf künstliche oder natürliche Landmarken wie Glockentürme, Leuchttürme, Signalstangen visiert. Bei jedem Signal endet ein Dreieck, dessen Winkel durch die obengenannten Instrumente mit mathematischer Genauigkeit bestimmt werden. In der Tat kann irgendein Gegenstand – ein Glockenturm am Tag, eine Reverbere des Nachts – mit vollkommener Genauigkeit von einem Mann mit scharfem, geübtem Blick aufgenommen werden, der vermittelst eines Fernglases, dessen Feld in ein Fadennetz geteilt ist, danach visiert. So erhält man Dreiecke, deren Seiten oft mehrere tausend Meilen lang sind. Auf diese Weise hat Arago die Küste von Valencia in Spanien bis an die Balearen-Inseln durch ein ungeheures Dreieck vereinigt, dessen eine Seite 82.550 Toisen lang ist.

Nun kennt man nach einem geometrischen Grundsatz ein Dreieck vollständig, wenn man eine Seite und zwei Winkel kennt, denn man kann dann sofort auf die Größe des dritten Winkels und die Länge der beiden anderen Seiten schließen. Wenn man also zur Basis eines neuen Dreiecks eine Seite eines schon gebildeten Dreiecks nimmt, indem man die zusammenstoßenden Winkel an dieser Basis mißt, kann man so neue Dreiecke bilden, die aufeinanderfolgend bis zur Grenze des zu messenden Bogens geführt werden.


Durch diese Methode erhält man so die Längen aller geraden Linien, die im Netz der Dreiecke inbegriffen sind; und durch eine Reihe trigonometrischer Berechnungen kann man leicht die Größe des Meridianbogens bestimmen, der das Netz zwischen den beiden Endpunkten durchschneidet. Es ist soeben gesagt worden, daß ein Dreieck ganz bekannt ist, wenn man eine der Seiten und zwei seiner Winkel kennt. Nun kann man die Winkel genau mit Hilfe der Winkelmeßscheibe oder des Theodolits erhalten; doch muß man die erste Seite, die Basis des ganzen Systems, zuerst »direkt auf dem Boden messen«, und zwar mit außerordentlicher Genauigkeit; und dies ist die mißlichste Arbeit der ganzen Dreieckmessung.

Als Delambre und Mechain den Meridian Frankreichs von Dünkirchen bis Barcelona maßen, nahmen sie als Basis ihrer Triangulation eine Linie in gerader Richtung auf dem Weg von Melun nach Lieusaint im Departement Seine und Marne. Diese Basis hatte 12.150 Meter, und man brauchte zu ihrer Messung nicht weniger als 45 Tage. Welche Mittel diese Gelehrten anwendeten, um eine mathematische Genauigkeit zu erhalten, wird die Operation der Herren Everest und Mathieu Strux lehren, die in derselben Weise verfuhren wie jene zwei französischen Astronomen. Man wird sehen, bis zu welchem Höhepunkt die Genauigkeit gehen sollte.

Am 5. März begannen die ersten geodätischen Arbeiten, zum großen Erstaunen der Buschmänner, die nichts davon verstanden. Die Erde mit 6 Fuß langen, eins an das andere gelegten Linealen zu messen, kam dem Jäger wie ein Gelehrtenspaß vor. Jedenfalls hatte er seine Schuldigkeit getan. Man hatte von ihm eine völlig ebene Fläche verlangt, und er hatte sie geliefert.

Die Stelle war in der Tat für die direkte Messung einer Basis ideal. Die mit kurzem, trockenem Rasen bedeckte Ebene erstreckte sich vollständig waagerecht bis an die äußersten Grenzen des Horizonts. Sicherlich war man bei der Messung auf der Straße nach Melun nicht so begünstigt gewesen. In ihrem Rücken zog sich eine wellenförmige Hügelkette hin, die die äußerste Südgrenze der Wüste Kalahari bildete. Im Norden ein unbegrenzter Raum. Nach Osten zu verlief die Abdachung des Plateaus von Lattaku in sanftem Fall.

Westwärts wurde die Ebene noch niedriger, sumpfig und mit stehendem Wasser gefüllt, woraus die Nebenflüßchen des Kuruman ihr Wasser zogen.

»Ich denke, Herr Oberst«, sagte Mathieu Strux, nachdem er diese Grasfläche in Augenschein genommen, »wir können, sobald wir unsere Basis gelegt haben, hier auch den Endpunkt des Meridians festsetzen.«

»Ich muß Ihrer Ansicht beistimmen, Herr Strux«, antwortete Oberst Everest, »sobald wir die Länge dieses Punkts genau gefunden haben. Man muß bei dessen Übertragung auf die Karte erst untersuchen, ob nicht dieser Meridianbogen, wenn er weiterverfolgt wird, auf unüberwindbare Hindernisse stößt, welche die geodätische Operation aufhalten könnten.«

»Ich glaube es nicht«, antwortete der russische Astronom.

»Wir werden es ja sehen«, erwiderte der englische Astronom. »Wir wollen fürs erste die Basis an dieser Stelle messen, weil sie sich für die Operation eignet, und dann werden wir entscheiden, ob es gut sein wird, sie durch eine Reihe von Hilfsdreiecken mit dem Dreiecknetz, das der Meridianbogen durchschneiden soll, zu verbinden.«

Nachdem man darüber einig geworden war, beschloß man, ohne Verzug die Messung der Basis vorzunehmen.

Die Ausführung mußte lange währen, da die Mitglieder der Kommission mit strengster Genauigkeit zu Werke gehen wollten. Es handelte sich darum, die in Frankreich auf der Basis von Melun gemachten geodätischen Messungen an Genauigkeit zu übertreffen, Messungen, die indes so vollkommen waren, daß eine neue, späterhin bei Perpignan am Südende der Triangulation gemessene Basis, die zur Bewährung der bei allen Dreiecken erforderlichen Berechnungen dienen sollte, auf einer Entfernung von 330.000 Toisen nur eine Differenz von 11 Zoll zwischen der direkten Messung und der nur berechneten nachwies.

Es wurde also Befehl zum Aufschlagen des Lagers gegeben und eine Art Buschmannsdorf, ein Kraal, auf der Ebene improvisiert. Die Wagen wurden wie wirkliche Häuser aufgestellt und das Dorf in ein englisches und ein russisches Viertel geteilt, über denen die Nationalfarben flaggten. In der Mitte befand sich ein gemeinsamer Platz. Jenseits der kreisrunden Wagenlinie weideten die Pferde und Büffel unter Aufsicht ihrer Hüter, und während der Nacht ließ man sie in die von den Wagen gebildete Umzäunung hinein, um sie vor der Raubgier wilder Tiere zu schützen, die im Innern Südafrikas überall vorhanden sind. Mokum übernahm es, Jagden zur Verproviantierung des Dorfs anzustellen; und Sir John Murray, dessen Gegenwart bei der Messung nicht unumgänglich nötig war, beschäftigte sich speziell mit der Beschaffung der Lebensmittel. Es kam in der Tat darauf an, die getrockneten Fleischvorräte aufzuheben und der Karawane täglich frisches Wildbret zu liefern. Dank der Geschicklichkeit Mokums, seiner beständigen Tätigkeit und der Gewandtheit seiner Gefährten, fehlte es nie an Wildbret. Die Ebenen und Hügel wurden im Umkreis mehrerer Meilen durchstreift und hallten jederzeit von den Schüssen der Europäer wieder.

Am 6. März begannen die geodätischen Operationen. Die beiden jüngsten Gelehrten der Kommission wurden mit den Vorarbeiten betraut.

»Vorwärts! Lieber Kamerad«, sagte Michael Zorn freudig zu William Emery, »und der Gott der Genauigkeit stehe uns bei.«

Die erste Verrichtung bestand darin, auf dem flachsten und ebensten Teil des Terrains in gerader Richtung eine Linie abzustecken. Die Beschaffenheit des Bodens gab die Richtung von Südosten nach Nordwesten an. Die Geradlinigkeit wurde mit Hilfe von Pfählen und Flaggenstangen, die in kurzer Entfernung voneinander aufgesteckt wurden, erreicht. Michael Zorn, dessen Fernrohr mit einem Netz versehen war, untersuchte die Stellung der Pfähle und erkannte sie als genau an, wenn der senkrechte Netzfaden all ihre im Brennpunkt geworfenen Bilder in zwei gleiche Hälften teilte.

Diese gerade Linie wurde so ungefähr 5 Meilen weit fortgeführt, die mutmaßliche Länge, welche die Astronomen ihrer Basis zu geben gedachten.

Jeder Pfahl war an seiner Spitze mit einem Nivellierinstrument versehen worden, das die Legung der metallenen Lineale erleichtern sollte. Diese Arbeit erforderte einige Tage, um gut zu Ende geführt zu werden.

Die beiden jungen Leute führten sie mit gewissenhafter Genauigkeit aus.

Es handelte sich nun darum, die zur Messung der Basis des ersten Dreiecks bestimmten Lineale aneinanderzulegen, eine Verrichtung, die sehr einfach scheinen kann, aber im Gegenteil unendliche Vorsicht erfordert, und von der zum großen Teil der Erfolg einer Dreieckmessung abhängt.

Folgendes waren die zur Legung der gedachten Lineale getroffenen Anordnungen, deren Beschreibung selbst weiter unten erfolgt.

Am Morgen des 10. März wurden längs der geraden Linie, die man schon abgesteckt hatte, hölzerne Sockel aufgestellt. Diese Sockel, zwölf an Zahl, ruhten mit ihrem unteren Teil auf drei, einige Zoll langen, eisernen Schrauben, die sie am Rutschen hinderten und in einer unbeweglichen Lage festhielten.

Auf diese Sockel verteilte man kleine, gut angepaßte Stückchen Holz, die den Richtscheiten als Unterlage und zu einer Art Fassung dienen sollten. Diese Fassung gab ihnen die Richtung, ohne ihre Ausdehnung zu behindern, die je nach der Temperatur veränderlich sein und die bei der Operation berücksichtigt werden mußte.

Als die zwölf Sockel befestigt und mit Holzstückchen belegt waren, besorgten Oberst Everest und Mathieu Strux die schwierige Legung der Richtscheite, eine Verrichtung, woran die beiden jungen Leute teilnahmen.

Nikolaus Palander dagegen war mit dem Bleistift in der Hand bereit, die Ziffern, die man ihm mitteilen würde, in ein doppeltes Register einzutragen.

Die angewandten Richtscheite waren sechs an Zahl; sie hatten eine im voraus mit absoluter Genauigkeit bestimmte Länge. Man hatte sie mit dem alten französischen Toisenmaß, das bei geodätischen Messungen allgemein angenommen ist, verglichen.

Diese Richtscheite waren also 2 Toisen lang, 6 Linien breit und 1 Linie dick. Das zu ihrer Herstellung angewendete Metall war Platin, ein in der Luft unter gewöhnlichen Umständen unveränderliches, weder im Kalten noch im Warmen oxydierbares Metall. Doch mußten diese Platinrichtscheite unter Einwirkung der veränderlichen Temperaturen einer Ausdehnung oder Zusammenziehung unterliegen, die zu berücksichtigen war. Man hatte deshalb ausgedacht, jedes von ihnen mit einem eigenen Thermometer zu versehen, einem Metallthermometer, das sich auf die den Metallen eigentümliche Eigenschaft, unter dem Einfluß der Wärme eine Veränderung zu erleiden, gründete. Deshalb wurde jedes der Richtscheite mit einem anderen kupfernen, das ein wenig kürzer war, bedeckt. Ein am Ende des kupfernen Richtscheits angebrachter Nonius zeigte genau die relative Verlängerung des gedachten Richtscheits an, wodurch man instand gesetzt wurde, die absolute Ausdehnung des Platins in Abzug zu bringen. Außerdem waren die Veränderungen des Nonius derart berechnet, daß man jede noch so kleine Ausdehnung des Platinlineals berücksichtigen konnte. Man begreift also, mit welcher Genauigkeit man zu verfahren imstande war. Dieser Nonius war zudem mit einem Mikroskop versehen, womit man ein Viertel des 100.000. Teils der Toise zu bestimmen fähig war.

Die Richtscheite wurden also auf die Holzstücke gelegt, eins am Ende des andern, doch ohne sich zu berühren, denn man mußte auch den leichtesten Zusammenstoß, der durch eine unmittelbare Berührung erfolgen konnte, vermeiden. Oberst Everest und Mathieu Strux legten auf der geraden Linie der Basis selbst das erste Richtscheit auf das Holzstück. Ungefähr 100 Toisen davon entfernt hatte man oberhalb des ersten Pfahls einen Zielpunkt gesteckt, und da die Richtscheite mit zwei senkrechten, unmittelbar auf der Achse eingelassenen eisernen Spitzen versehen waren, konnte man sie leicht in der gewünschten Richtung legen.

In der Tat untersuchten William Emery und Michael Zorn, die sich hinterwärts auf den Boden gelegt hatten, ob die beiden Eisenspitzen genau auf die Mitte des Zielpunkts trafen. Dadurch war man der genauen Richtung des Richtscheits versichert.

»Jetzt«, sagte Oberst Everest, »müssen wir genau den Ausgangspunkt unserer Operation bestimmen, indem wir das Senkblei dicht an das Ende des ersten Richtscheits halten. Kein Berg wird auf dieses Bleilot eine merkbare Wirkung 1) ausüben, so daß es das Ende der Basis genau auf dem Boden angeben wird.«

»Ja«, antwortete Mathieu Strux, »unter der Bedingung jedoch, daß wir die halbe Stärke der Schnur beim Berührungspunkt berücksichtigen.«

»So meine ich auch«, erwiderte Oberst Everest.

Nachdem der Ausgangspunkt genau bestimmt war, setzte man die Arbeit fort. Doch genügte es nicht, das Richtscheit genau auf die gerade gerichtete Linie der Basis zu legen, man mußte noch seine Neigung in Beziehung auf den Horizont berücksichtigen.

»Ich denke«, sagte Oberst Everest, »wir maßen uns nicht zu, dieses Richtscheit in eine vollkommen horizontale Lage zu bringen?«

»Nein«, antwortete Mathieu Strux, »es genügt, den Winkel, den jedes Richtscheit mit dem Horizont bilden wird, mit einem Nivellierinstrument aufzunehmen, und dadurch können wir die gemessene Länge auf die wirkliche Länge zurückführen.«

Da die beiden Gelehrten einig waren, schritt man zur Aufnahme vermittelst eines zu diesem Zweck eigens konstruierten Nivellierinstruments, das aus einem Diopterlineal bestand, das sich um ein an der Spitze eines hölzernen Winkelmaßes angebrachtes Scharnier

bewegte. Ein Nonius zeigte die Neigung an durch das Zusammenfallen seiner Abteilungen alle 5 Minuten mit denen eines feststehenden Richtscheits, das über einen Bogen von 10 Grad gelegt war.

Das Nivellierinstrument wurde auf dem Richtscheit angebracht und das Resultat untersucht. In dem Augenblick, wo Nikolaus Palander es, nachdem es durch die beiden Gelehrten geprüft worden war, in sein Register eintragen wollte, verlangte Mathieu Strux, daß das Instrument von einem Ende zum andern umgekehrt werde, damit man den Unterschied der beiden Bogen herauslesen könne. Dieser Unterschied betrug damals das Doppelte der gesuchten Neigung, und man fand so die Probe der Arbeit. Von jetzt an befolgte man bei allen derartigen Verrichtungen den Rat des russischen Astronomen.

In diesem Augenblick wurden zwei wichtige Punkte beobachtet: die Richtung des Richtscheits im Verhältnis zur Basis und der Winkel, den es in Beziehung auf den Horizont bildete.

Die Zahlen, die diese Beobachtung ergab, wurden in zwei verschiedene Register eingetragen und am Rand von den Mitgliedern der englisch-russischen Kommission unterzeichnet.

Es blieben noch zwei nicht weniger wichtige Beobachtungen zu machen übrig, um die auf das erste Richtscheit bezügliche Arbeit zu beenden: erstens seine thermometrische Veränderung, dann die genaue Abschätzung der von ihm gemessenen Länge.

Die thermometrische Veränderung ergab sich leicht durch den Vergleich mit dem Unterschied der Länge zwischen dem Platin- und dem Kupferrichtscheit. Das Mikroskop, das nacheinander von Mathieu Strux und Oberst Everest beobachtet wurde, ergab die absolute Ziffer der Veränderung des Platinrichtscheits, und diese wurde in das doppelte Register eingetragen, so daß sie später auf die Temperatur von 16? C. zurückgeführt werden konnte. Nachdem Nikolaus Palander die erhaltenen Zahlen eingetragen hatte, wurden sie sofort von allen miteinander verglichen.

Es handelte sich nun darum, die wirklich gemessene Länge zu notieren. Um diese zu erhalten, war es nötig, das zweite Richtscheit nach dem ersten, in einem kleinen Abstand davon, auf das Holzstück zu legen.

Dies geschah wie beim ersten, nachdem man genau festgestellt hatte, ob die vier Eisenspitzen mit der Mitte des Zielpunkts genau in gleicher Linie fielen.

Es blieb nun nur noch übrig, den zwischen den beiden Richtscheiten gelassenen Zwischenraum auszumessen. Am äußersten Ende und in dem von dem Kupferrichtscheit nicht bedeckten Teil des ersten befand sich ein kleines Platinzüngelchen, das sich leicht an zwei Seitenwänden rieb.

Oberst Everst stieß dieses Züngelchen so weit vor, daß es das zweite Richtscheit berührte.

Da besagtes Züngelchen in Zehntausendstel einer Toise geteilt war, und ein mit seinem Mikroskop versehener Nonius, der auf einer der Seitenwände angebracht worden, Hunderttausendstel angab, so konnte man mit mathematischer Gewißheit den absichtlich gelassenen Zwischenraum der beiden Richtscheite veranschlagen. Die Zahl wurde sofort in das doppelte Register eingetragen und verglichen.

Auf den Rat Michael Zorns gebrauchte man noch eine Vorsicht, um eine noch strengere Abschätzung zu erhalten. Das Kupferrichtscheit bedeckte das Platinrichtscheit. Es konnte doch vorkommen, daß das geschützte Platin sich langsamer unter den Sonnenstrahlen erwärmte als das Kupfer. Um diesem Unterschied in der thermometrischen Veränderung vorzubeugen, bedeckte man die Richtscheite mit einem einige Zoll hohen kleinen Dach derart, daß die verschiedenen Beobachtungen dadurch nicht gestört wurden. Nur wenn morgens oder abends die Sonnenstrahlen schräg unter das Dach bis auf die Richtscheite drangen, hängte man an der Sonnenseite eine Leinwand vor, um die Strahlen abzuhalten.

Dies waren die Operationen, die mit so viel Geduld und Genauigkeit während eines Monats ausgeführt wurden.

Als die vier Richtscheite der Reihe nach gelegt und vom vierfachen Standpunkt der Direktion, Inklination, Dilatation und effektiven Länge für richtig erkannt worden waren, begann man die Arbeit aufs neue, indem man mit derselben Regelmäßigkeit die Sockel, die Gestelle und das erste Richtscheit an das vierte übertrug. Diese Manöver erforderten viel Zeit, trotz der Geschicklichkeit der Operateure. Sie maßen nicht mehr als 220 bis 230 Klafter täglich, und manchmal, wenn das Wetter ungünstig oder der Wind zu heftig war und die Unbeweglichkeit der Apparate stören konnte, stellte man die Operation ein.

Jeden Tag, wenn der Abend kam, ungefähr 3 Viertelstunden, ehe der Mangel an Licht das Lesen des Nonius unmöglich machte, gaben die Gelehrten ihre Arbeit auf und gebrauchten folgende Vorsichtsmaßnahmen, um sie am folgenden Morgen wieder zu beginnen. Das Richtscheit Nummer 1 wurde auf provisorische Manier dargestellt und sein Endpunkt auf dem Erdboden markiert.

An diesem Punkt machte man ein Loch, in das man einen Pfahl steckte, auf dem eine Bleiplatte befestigt war. Man brachte darauf das Richtscheit Nummer 1 wieder in seine bestimmte Lage, nachdem man die Neigung, die thermometrische Veränderung und die Richtung beobachtet hatte; man notierte die vermessene Verlängerung durch das Richtscheit Nummer 4; dann, vermittelst einer bleiernen Tangente, die am äußersten Ende des Richtscheits Nummer 1 befestigt war, machte man ein Zeichen auf der Platte am Pfahl. Auf diesem Punkt wurden zwei sich durchschneidende rechte Winkel, der eine auf seiten der Basis, der andere lotrecht, sorgfältig gezogen. Darauf, nachdem die Bleiplatte mit einem Holzdeckel zugedeckt worden war, stopfte man das Loch wieder zu und grub den Pfahl bis zum nächsten Tag ein. Am folgenden Morgen wurde die Platte aufgedeckt, das erste Richtscheit in dieselbe Lage gebracht wie am vorhergehenden Tag, vermittelst der Bleiwaage, dessen Spitze genau auf den von den zwei Linien gezogenen Punkt treffen mußte.

Dies war die Reihenfolge der Operationen, die während 38 Tagen auf dieser so günstig nivellierten Ebene ausgeführt wurden. Alle Zahlen wurden doppelt eingeschrieben, beglaubigt, verglichen und von allen Mitglieder der Kommission unterzeichnet.

Zwischen Oberst Everest und seinem russischen Kollegen fanden wenig Diskussionen statt. Einige im Nonius gelesene Ziffern, welche die 400.000stel Toisen angaben, verursachten zuweilen einen Austausch herber Worte. Da jedoch die Majorität angerufen wurde, deren Meinung Gesetz war, mußten sie sich ihr fügen.

Eine einzige Frage führte zwischen den beiden Rivalen Antworten herbei, welche die Vermittlung Sir John Murrays nötig machten. Es war die Frage, welche Länge man der Basis des ersten Dreiecks geben solle. Es stand fest, daß, je länger die Basis wäre, desto leichter der Winkel, der die Spitze des ersten Dreiecks bildet, zu messen sein würde, da er größer war. Oberst Everest schlug eine 6000 Toisen lange Basis vor, die fast genau so groß war, wie die auf dem Weg von Melun direkt gemessene. Mathieu Strux wollte dieses Maß auf 10.000 ausdehnen, da das Terrain sich dazu eignete.

In dieser Frage zeigte sich Oberst Everest unbeugsam. Mathieu Strux schien ebenfalls entschlossen, nicht nachzugeben. Nachdem mehr oder weniger plausible Beweisgründe beigebracht waren, wurde man unsachlich, und es drohte in einem Augenblick die Nationalitätsfrage dabei ins Spiel zu kommen. Es standen sich nicht mehr zwei Gelehrte, sondern ein Engländer und ein Russe gegenüber. Glücklicherweise wurde diese Debatte infolge schlechten Wetters, das mehrere Tage dauerte, vertagt; die Gemüter beruhigten sich und es wurde durch Stimmenmehrheit entschieden, daß die Basis definitiv auf ungefähr 8000 Toisen festgesetzt werden solle, was die Differenz zur Hälfte teilte.

Kurz, die Operation ging gut und mit größter Exaktkeit vonstatten. Was die mathematische Genauigkeit betraf, sollte diese später kontrolliert werden, indem man eine neue Basis am nördlichsten Ende des Meridians ausmaß.

In summa ergab diese direkt gemessene Basis als Resultat 8037,75 Toisen; und auf sie wollte man die Reihenfolge der Dreiecke stützen, deren Netz Südafrika auf einer Strecke von mehreren Grad bedecken sollte.




1) Die Nähe eines Berges kann wirklich durch seine Anziehungskraft eine Abweichung in der Richtung der Schnur bewirken. So hat zum Beispiel die Nähe der Alpen eine ziemlich erhebliche Differenz zwischen der gemessenen und der beobachteten Länge des Bogens zwischen Andrate und Mondovi verursacht.